Kleiner Mann, was nun?, Burgtheater
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So romantisch hat man Thalheimer noch nie gesehen. Er stellt die große Liebe von Hannes (Nico Holonics) und Lämmchen (Henrike Johanna Jörissen) in einen Bilderrahmen der Idylle. Doch nur um sie danach umso wirkungsvoller an der Realität der Umstände zerschellen zu lassen.
„Nur nicht arbeitslos werden.“ Der Chor hämmert es Emma und Hannes immer wieder ein. Im Berlin der 20ziger Jahre steht ein Heer von Arbeitslosen im Arbeitsamt um die magere Unterstützung an und kann doch von ihr nicht leben. Die Hoffnungslosen werden mit jedem Tag mehr und wer seine Arbeit erst einmal verliert, darf sich keine Hoffnung auf eine neue machen. Solidarität wird hier zum Luxusgut. Die radikalen Lösungsvorschläge in dem Klima der Verzweiflung nehmen zu. Die Nationalsozialisten bekommen mehr Zulauf. Wie soll in diese Zeit eine Liebe gedeihen können? Doch Lämmchen und ihr Jungchen wagen es. In den Bilderrahmen, den Olaf Altmann für die Bühne gebaut hat, kämpfen sie verzweifelt um ihre Liebe. Hier versuchen sie mit ihren mageren Möglichkeiten ihre Beziehung zu gestalten. Mit allem verfügbaren Optimismus, Kampfesmut und Rechtschaffenheit wollen sie ihr kleines Leben aufbauen. Doch die gesellschaftlichen Verhältnisse sitzen ihnen im Nacken. Im Hintergrund stehen ihre Vertreter weit oben über ihnen und sie haben sie ständig in ihrem Blick. Da stehen die Arbeitgeber, die Vermieter, die Kollegen, die Verwandten und die Beamten, von denen ihr Fortkommen oder Scheitern abhängig ist. Denn Lämmchen und Jungchen können sich noch so anstrengen, sie können noch so ehrlich, sparsam, gut, redlich, fleißig und anspruchslos sein, sie werden aussortiert werden. Hinter jeder ihren kleinen Freuden sitzt die schon Angst. Schließlich reicht auch Emmas Kraft nicht mehr für ihr Mantra „Alles wird gut“, mit dem sie ihren labileren Hannes bisher aufrecht hielt. Sie müssen erkennen, dass all ihr unermüdliches Strampeln ohne Hoffnung ist. Ganz allein stehen sie zum Schluss nebeneinander, Hannes schon mit der gezückten Pistole hinter seinem Rücken.
So gerät die vermeintlich süße und starke Liebesgeschichte von Hans Fallada bei Thalheimer zu einem Plädoyer gegen einen Raubtierkapitalismus, bei dem der Mensch zu einem funktionierenden Rädchen in der Maschine der Gesellschaft degradiert wird.
Birgit Schmalmack vom 21.10.13