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Der Freitag |
Herr Dagacar und die goldene Tektonik des Mülls
Arbeiten um zu überleben
„Ich würde eigentlich lieber weiter mein Leben auf der Bühne spielen, als es tatsächlich leben“, meint Herr Dagacar. Er ist Wertstoffsammler in Istanbul. Doch eigentlich stammt er aus einem Dorf ganz im Osten der Türkei. Zusammen mit seinen Cousins arbeitet er in der Tagesreise entfernten Großstadt. Er schläft im Wertstoff-Depot, auf Möbeln, die er im Müll gefunden hat.
Sie sind Recycling-Experten, wenn sie mit ihren Karren die Wertstoffe in den Istanbuler Straßen einsammeln und sie weiterverkaufen und damit sich und ihre Familien ernähren. Sie fühlen sich nicht als Tagelöhner sondern als selbstständige Unternehmer. Der Roma unter den Sammlern habe eine andere Art zu arbeiten, berichten die Cousins. Er arbeite nicht im Team wie sie sondern für sich alleine.
Einer der Fünf baut sich eine kleine Bühne auf. Die türkische Form des Kasperltheaters entsteht: Mit Hilfe der Karagöz-Figur bebildert der Puppenspieler die Erzählungen seiner Kameraden.
„Wenn das Leben ein Theaterstück wird, gehört es nicht mehr dir“, meinen die Fünf am Schluss. Die Arbeit mit dem Rimini Protokoll-Machern hat sie verändert. Sie werden ab jetzt ihr Leben mit den Augen der Anderen betrachten. Sie werden die Erfahrungen von ihren Tourneereisen nach Deutschland und durch die Türkei mit in ihr früheres Leben nehmen. Als sie zurückkommen, hat sich ihr Depot aufgelöst. Da sie fehlten, wurde nicht genügend Müll eingesammelt um es zu erhalten.
Einer von ihnen träumt von einer Fabrik, die er erbauen will. Er fehlten ihm nur ein paar Millionen Euro. Er steht vor einem der plastikbezogenen Wagen und führt mit projizierten Videoaufnahmen seine Traumfabrik des vollautomatischen Recyclings vor. Dann steigt er in den Karren. Da er sich selbst diese Fabrik nie wird leisten könne, müsste er sich wohl als Fließbandarbeiter dort verdingen. Doch schnell steigt er wieder aus: Er sei kein Arbeiter, der für andere schuftet. Wenn ein Recycling-Apparat perfektioniert werden wird, wie er in Deutschland üblich schon üblich ist, werden alle Fünf eine andere Arbeit suchen müssen.
Rimini schafft es wieder einmal ein fremden Leben ganz dicht an die Zuschauer heranzuholen. Sympathisch werden die Fünf, die ihre Lebensgeschichte live erzählen und so die Deutschen teilhaben lassen.
Birgit Schmalmack vom 27.2.12