Kohlhaas, Felix Meyer-Christian
Keime der Revolution
Revolution kennt zwei Zustände: Wut und Hoffnung. Von Kohlhaas ergreifen sie erst allmählich Besitz.
Auf der schwarzen Bühne ragen Holzbalken bis zur Decke, zu Säulen aufgestellt. Rauchschwaden umziehen sie. Die Pfeiler einer Gesellschaft, welche sind es? Ab welchem Moment geraten sie ins Wanken? Wann beschließen die Untergebenen aufzubegehren gegen die Zustände?
Zunächst glaubt Kohlhaas (Dennis Pörtner) noch an die Gerechtigkeit. Noch vertraut er den Gesetzen, der Ordnung, dem Staat. Erst als ihm in seinem Prozess diese Gerechtigkeit verwehrt wird und seine geliebte Frau Lisbeth von Vertretern dieses Staates so schwer verletzt wird, dass sie stirbt, wird er zum Aufbegehrenden. Er wird zum Racheengel. Hoch schwebt er über der Bühne, nackt in seinem Zuggeschirr. Er sieht sich als Engel Matthias, der Rache nimmt für die Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren ist. Er schart hinter sich tausende von Unzufriedenen, die unter seiner Führung Herrschende zur Rechenschaft ziehen, auf ihre Missstände unmissverständlich hinweisen wollen und dafür Städte niederbrennen.
Ist dieser alles Maß verlierende Kohlhaas ein Gerechter? Ist er ein Kämpfer, der stellvertretend für viele zur Waffe greift, weil alle anderen Mittel versagt haben?
Regisseur Felix Meyer-Christian hat wie Kleist eine eindimensionale Beantwortung dieser Frage in seiner Diplom-Inszenierung klug vermieden. Er zeigt Herrscher und Revolutionäre, die sich gleichermaßen stark von ihren ganz persönlichen Lebensziele und strategischen Machtwünsche treiben lassen. Verständnis für Kohlhaas Aufbegehren wird ebenso erzeugt wie sein Getriebensein durch allzu große Emotionalität deutlich wird. Meyer-Christian bedient sich nicht nur für die Textgrundlage einer breiten Sammlung an Äußerungen zum Thema Revolution, (u.a. von Alexander Kluge, Brüggemann, Martin Luther) sondern einer Vielfalt von anregenden Regiemittel. Mal lässt er unheilsschwanger die schwarz gekleideten Vertreter des Staates aus dem dunklen Nebel hervortreten, mal reiht er sie wie Witzfiguren auf einem Balken für ihre Gerichtsshow an. Sprechende Bewegungschoreographien erzeugen immer neue Stimmungen. Unterlegt wird alles von einer mal säuselnden, mal zwitschernden, mal bedrohlichen, mal vibrierenden Klangteppich der Theatermusikerin Katharina Kellermann. Vordergründig prunkvolle Kostüme enttarnen die Oberen.
Meyer-Christian hat hervorragende Schauspieler (Ana Berkenhoff, Sebastian Klein, Miriam Joya Strübel) für seine Inszenierung gewinnen können. Sie springen in schnellem Kostümwechsel von einer Rolle in die nächste. In Zeiten arabischen Revolutionen, Occupy-Bewegung und Demonstrationen in EU-Staaten ist der freien Gruppe Costa Compagnie ein aktueller Beitrag von inhaltlicher und künstlerischer Brisanz gelungen.
Birgit Schmalmack vom 20.2.12
I am here Doctor Faustus, Julia Dittrich
Klug komponiert
Als mögliche Vorbilder stehen so viele zur Auswahl. Immer wieder neue Posen probieren die Frauen nach Vorlage der Model-Bilder aus. Doch welche passt zur eigenen Persönlichkeit? Welche Auslebung der eigenen Weiblichkeit ist wünschenswert? Passen das transparente Flatterkleid, die Militärstiefel oder Jackett besser zum persönlichen Selbstbild?
Auf der Suche nach der Wildnis ist die Frau mit den vier Namen in den Wald gegangen. Eine Schlange hat sie gebissen. In Todesangst trifft sie auf einen Mann, Doktor Faustus, und hofft auf seine Hilfe. Doch er sieht und erkennt sie nicht. Wie durch ein Wunder überlebt sie. „Enough words, I am not dead“ stellt sie erleichtert fest. Dem Tode entronnen trifft sie auf einen Mann, der ihr die große Liebe verspricht. Die Frau erkennt klar die Falle der Abhängigkeit.
Regisseurin Julia Dittrich lässt die Vorlage von Gertrude Stein im englischen Original spielen. Der mäandernde Textfluss wird so durch keine Übersetzung geschmälert. Durch eine Umsetzung mit Nicht-Muttersprachlern kommt so außerdem eine sezierende, analysierende Wirkung zustande. Sie lässt die Frauenrolle dreifach verkörpern. Das ist ein sinniges Bild für die Suche nach der eigenen Identität. Per Videoprojektion auf die in der P1 gespannten drei Segel werden Wörter Steins prominent ausgestellt: „Wild, Viper, Wood, Words“. Auf der Spiegelfläche in der Mitte erkennen die Frauen ihr Gegenüber und am Ende auch sich selbst. Dittrich erzeugt in ihrer Diplominszenierung eine spielerisch und konsequent durchkomponierte Sprechoper. Die drei Schauspielerinnen bilden dabei meist eine Einheit, erkunden aber auch ihre eigenen Persönlichkeiten, indem sie zeitweise in ihre jeweilige Muttersprache holländisch, polnisch und deutsch zurückfallen. In ihren transparenten Kleidern sind sie zarte Frau, mit dem Männerjackett werden sie zu Faustus und in Unterhemd und Schlips zum erobernden Mann. Ihre sprechenden Choreographien auf den drei Podesten der Bühne variieren verschiedene Vorstellungen von weiblichen und männlichen Verhalten. Beeindruckend tiefsinnige und intelligente Inszenierung!
Birgit Schmalmack vom 13.2.12
Parzival, Lea Connert
Parzival, der Aufsteiger-Typ
Zunächst hängt der Lebensraum voller Luftballons. Schön leuchten sie im Licht der Scheinwerfer und lassen Träume von grenzenlosen Möglichkeiten zu. Parzivals Mutter in Petticoat-Prinzessinnen-Gewand will ihren Sohn am liebsten in dieser Traumwelt festhalten. Doch ihr kleiner Mann in den kurzen Hosen lässt sich nicht einsperren. Er streift sich sein ballongeschwelltes Ritterkostüm über und zieht hinaus in die weite Welt. Er will sie erobern. Er will ein Ritter werden. Er will Gott treffen. Doch sein Weg ist einer der Verwüstung. Mit lautem Knallen lässt er die Ballons zerplatzen. Immer neue Leichen pflastern seinen Weg des vermeintlichen Erfolgs.
Parzivals Entwicklung verläuft im Kreise, er kann nur scheinbare Erfolge verbuchen. Der Text von Trankred Dorst bricht unvermittelt ab, wenn die Schauspieler als Showdarsteller eines großen Egomanen-Kabaretts an die Rampe treten lässt. Ebenso brüchig ist die Verbindung zu dem eingespielten, kryptischen Video, in dem sich verwaschene Bilder von gejagten Reh-Frauen klaren Zukunftsvorstellungen verwehren.
Diplomantin Lea Connert interpretiert Parzivals Entwicklung parallel zu Lebenssituationen von heutigen Kreativen. Sie sieht Parzival als einen modernen Selbstverwirklichungs-Aufsteiger-Typen. Wie die meisten jungen Leute ist er zur selbstvermarktenden Individualität mit hohem kreativen Output verpflichtet. Skeptisch beurteilt sie seine Chancen und die ihrer Generation.
Connerts Sichtweise nimmt Parsivals Geschichte seine über sich selbst hinausweisende Dimension. In einer modernen Welt scheint ihr jede Meta-Ebene unzeitgemäß und hinderlich. So wird Parsival so heruntergebrochen auf eine schnöde Realität. Das ist klar einseitig fokussierend und reduzierend. Im Gegensatz zu Dorst sieht Connert für Freigeister schwarz.
Birgit Schmalmack vom 9.2.12
Ein Sommertag, Babett Grube
Schöne Aussicht
„Schöne Aussicht hier.“ Inmitten von Stuhlbergen hockt der Mann und will sich selbst davon überzeugen, wie gut es ihm doch geht. Ein schönes Haus mit einer wunderbaren Aussicht direkt am Wasser hat er gekauft. Zusammen mit seiner Frau bewohnt er nun ihr Traumhaus in der ruhigen Natur. Doch die Zufriedenheit will sich nicht einstellen. „Es ist so ruhig hier und ich bin so unruhig“, meint sie bedauernd. „Aber das wolltest du doch so...“, wendet er ein. Bei jedem Wetter rudert sie deshalb raus aufs Meer. Doch heute wird sie nicht zurückkehren. Seine Ex-Freundin plus Ehemann ist zu Besuch, als die Polizei nur noch ein leeres Boot findet.
Der Mann jagt zu den Stühlen. Stuhl um Stuhl stellt er in Publikumsreihen auf. Wir müssen auf sie warten, meint er. Und tatsächlich: Immer mehr Menschen stehen aus dem Publikum auf und setzen sich mit ihm zusammen auf die Stühle.
Babett Grube hat zwischen den kahlen Eis- und Salzhügeln in der Kampnagelhalle eine sensible, kluge Interpretation des Scheiterns hingelegt. Besonders Christian Bayer in der Rolle des Mannes, der verzweifelt versucht seinem Glück hinterher zu hechten, beeindruckt. Nichts hat er falsch gemacht und dennoch weiß er, dass die Katastrophe kommen wird.
Die Fliehenden Hafen oder das schwarze Ei, Matthia
Das Ei der Erkenntnis?
So ruhig und konzentriert die erste Diplominszenierung war, so experimentell und überbordend war die zweite von Matthias Mühlschlegel. Auch hier ging es um Lebensentwürfe und um ihr Scheitern, aber die Stilmittel der beiden Diplomanten hätten nicht unterschiedlicher sein können. Zu viert versammeln sich die vier Performaner um das schwarze Ei auf der Bühne. Mit Tänzen und Gesängen wollen sie es zu den erwünschten Heilkräften animieren. Denn als kreativer, junger Mensch ist man heutzutage so hilflos dem Hamsterrad der ständigen Selbstverwirklichung und Selbstvermarktung ausgesetzt, dass man leicht an die eigenen Grenzen stößt. Mühlschlegel erfindet Szenen, die die Flucht vor dem Erfolgsdruck, den Drang zur immerwährenden Flexibilität und das Rebellieren gegen das verordnete Mittelstandsglück fantasievoll bebildern.
Da fallen immer wieder Mauer auf die Jungen hernieder, die sie zu erschlagen drohen, aber eigentlich nur aus Pappe sind. Ein Polizeiuniformballett wird aufgeführt. Dafür rollen die Vier mit einem fahrbaren Reifen heran, an den lauter Hosenbeine geknotet sind, die wirkungsvoll in die Luft geworfen werden können. Comicstrips werden mit verstellten Stimmen aufgeführt. Ein Gespräch mit dem Ei soll Auskunft über die Wahrheit der Automation geben. Ein exzessiver Rocksong befiehlt „Lauf Junge, lauf“. Die Verfolgungsjagden finden nicht nur um das Ei herum und durch den begehbaren Kühlschrank hindurch statt, nein, auch einem Hasen auf Skates jagen die Vier hinterher. Ihre Verfolgung wird per Video dokumentiert.
Mühlschlegel ist viel eingefallen, um einem Lebensgefühl des ständigen Gehetztseins auf die Spur zu kommen. Manches mutete wie bloßer Klamauk an, anderes verdutzte und etliches interessierte.
Birgit Schmalmack vom 7.1.12