„Kirina“, Kampnagel
Neue Perspektiven?
Der Choreograph Serge Aimé Coulibaly aus Burkina Faso will in seinen Arbeiten die Perspektive umdrehen. Statt Europa für das Zentrum der Betrachtung zu halten, will er Afrika als gleichberechtigten Partner mit ins Spiel bringen. Statt die Epen von Macbeth und Medea zu erzählen, will er auch afrikanische Mythen auf die Bühne bringen. Zum Beispiel die Geschichte über die Schlacht von Kirina im 13. Jahrhundert, in der der Held Suniata einen tyrannischen Herrscher besiegt und damit eine neue Zeit einläutet.
Aus den Kleidungsstücken, die die Menschen auf ihrem Weg durch die Welt hinter sich gelassen haben, lassen sich raumhohe Türme bauen. Sie markieren die Wege der Menschen durch die Kontinente. In einer Szene können die blutroten Kleidungsstücke aber auch zu Wurfgeschossen werden, die eine der weißen Tänzerinnen treffen. Gruppenszenen beherrschen die Bilder zwischen Live-Band und Kleidersäulen. Das Geschehen entwickelt sich aus der Gemeinschaft. Wenn einzelne aus der Menge hervortreten, dann immer, weil sie von anderen dazu angespornt werden. Das kann auch in der Konfrontation zweier feindlich gesinnter Gruppen münden, aus deren Mitte sich zwei Vertreter einen Entscheidungskampf liefern.
Doch nicht nur Kriege, Niederlagen und Siege bestimmten den Lauf der Geschichte sondern auch die Migration. Die Menschen stimmten mit den Füßen über ihre Lebensverhältnisse ab, immer auf der Suche nach Frieden und Auskommen. Im Hintergrund des Bühnengeschehen zeugt davon ein beständig fließender Strom an einzelnen Menschen. Sie werden immer weitergehen, von einem Entwicklungsschritt zum nächsten, selbst nach Niederlagen, Leid und Misserfolgen. Diese Migrationsbewegungen sind kein Phänomen unserer Gegenwart. Auch das will Coulibaly mit seinem afrikanischen Musik- und Tanztheater zeigen.
Sein Ensemble ist international zusammengesetzt. Die Live-Band und die zwei stimmgewaltigen Sängerinnen sind gleichberechtigte Mitwirkende der Bühnenshow. Die rhythmische Musik von Rokia Traoré bildet die Grundlage des Abends.
Wie Coulibaly im Publikumsgespräch verriet, ist die Reaktion auf dieses Stück in Afrika eine ganz andere als in Europa. Bei afrikanischen Zuschauern würden die Geschichten sofort erkannt werden, denn sie seien Volksgut. In Europa entspinnen sich stattdessen für die Zuschauer auf der Bühne eher allgemeingültige Bilder von Kämpfen, Gewalt und Flucht. So gelingt es Coulibaly nur bedingt, neue Geschichten zu erzählen und die Perspektive zu verändern. Eher bestätigt er mit seinem Musiktheater vorhandene Afrikabilder. Ganz anders als mit seiner innovativen Arbeit zu Fela Kuti " Kalakuta Republik", die alle bisherigen Sehgewohnheiten aufbrach und den europäischen Zuschauer geschickt mit seinen Vorurteilen konfrontierte. Nach "Kirina" musste sich der Zuschauer weniger fragen, er konnte sich von den opulenten Breitbandbildern blenden lassen und ganz ohne provozierende Widerhaken im Kopf nach Hause gehen.
Birgit Schmalmack vom 21.2.19