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Ein Pfund Fleisch, Schauspielhaus

Copy Paste
"Am besten kauft man, wenn das Blut auf den Straßen klebt." Solche Sprüche klopft Shylock (Dominique Horwitz) bei Albert Ostermaier gerne. Dieser hat sich an einer Neubearbeitung des Shakespeare-Stoffes „Der Kaufmann von Venedig“ versucht. Bei ihm ist dieser unter die Börsenmakler gegangen. Auch sein Gegenspieler Antonio (Michael Prelle) ist einer von denen, die mit ihren unüberschaubaren Geldtransaktionen ihr Geld mehren und die anderen arm machen. In Skrupellosigkeit steht keiner dem anderen nach. Stellvertretend für die Verlierer dieser Kapitalismus-Gesellschaft sind auf der weißen Bühnenrückwand unscharfe weißschwarze Videobildern von Straßenunruhen zu sehen. Ostermaier gibt sich damit gewollt trendy und dennoch weinig erkenntnisreich.
Gerade der Vergleich mit einer Hamburger Inszenierung der letzten Spielzeit am Thalia macht die Qualitätsunterschiede besonders deutlich: Dort liefen Jelineks Worterruptionen in den vierstündigen „Kontrakten des Kaufmanns“ weitaus sprachgewitzter und weitaus ideenreicher umgesetzt von Nicolas Stemann. Bei „Ein Pfund Fleisch“ ist ein beliebiger Mix aus Versatzstücken des Originals, Börsenmeldungen und eigenen fantastischen Anreicherungen herausgekommen. Demonstrationsvideos füllen die weiße Rückleinwand. Auch Dominique Schnizer scheint zu diesem schwachen Text von Ostermaier nicht viel eingefallen zu sein: Unterlegt mit der Musik des Elektro-DJs Jimi Siebels baumelt auf der leeren weißen Bühne ein halbes Schwein als Boxsack für die testerongesteuerten Möchtegern-Macher-Machos und laufen auf der Rückwand die Videos. Die Mutation des einzigen weiblichen Wesens von der goldglitzernden Portia (Maria Wardzinska) zum Investmentpunk Gratiano geschieht beiläufig. Dass dieser Kapuzenjacken-Revoluzzer mit „Verstand, Gerüchten und Algorithmen“ die Männerwelt an der Börse aus den Angeln heben will, vermag nicht zu überzeugen.
In dieser Neubearbeitung ist sehr viel Behauptung, viel Beliebigkeit und viel Copy-Paste. Die exzellenten Darsteller kommen den Zuschauern leider nicht näher, auch wenn sie durch den Schauspielhausumbau dichter als sonst sind. Dann doch lieber das Original!

Birgit Schmalmack vom 18.9.12