Iphigenie, Immanuelkirche Veddel


Der Sprung über die Elbe lohnt sich!

Der Raum ist geschmückt. Das Essen vorbereitet, die Tafel gedeckt, die Frauen festlich gekleidet. Die Feier soll gleich beginnen. Der letzte Abend für Iphigenie als Mädchen ist angebrochen, morgen soll ihre Hochzeit sein und sie zur Frau werden. Eine arrangierte Heirat steht bevor. Der Frauenabend soll nicht nur eine Junggesellinnen-Party werden sondern auch ein Austausch mit den anwesenden Frauen werden, die dieses Ereignis zum Teil schon hinter sich haben. Wie war die Hochzeitsnacht? Wunderbar heißt es zunächst, doch dann gibt die grauhaarige Frau zu: Ich wollte nur noch sterben. Wie war die erste Begegnung mit dem Mann, mit dem die Andere ihr Leben von nun an bis zum Ende teilen sollte und den sie nicht kannte? Er war halt ihr Schicksal, so oder so. Immer wieder heulen die Frauen eine Runde zusammen, um danach wieder zum Tanzen aufzustehen.
Das "Poltern" gerät zu einem lauten Wutaufschrei über die Mühen, die die Frauen mit der Pflege ihres Äußeren treiben müssen, um den Erwartungen der Männer zu entsprechen. Mit jedem Teller, der in die Tonne gehauen wird, stoßen sie einen Schönheitstipp wütend heraus.
Die Suppe wird serviert. Auch die Zuschauer in den ersten Reihen sind Teil der großen Festgesellschaft. Doch dann entdecken die Frauen während des Essens einen Brief, der alles verändert. Er offenbart, dass Iphigenie gar nicht verheiratet sondern geopfert werden soll, um der Flotte ihres Vaters endlich den versprochenen Wind zum Aufbruch gegen den Feind zu bescheren. Die Frauen stülpen sich schwarze Mäntel und Kopftücher über die weißen Hochzeitskleider und beklagen die zarte unschuldige Iphigenie, die sich daraufhin ihr Kleid vom Leibe reißt und ihre Zerrissenheit, ihre Wut, ihre Hilflosigkeit, ihre Trauer und ihre Wut aus der Seele tanzt, bis sie sich nass und blutverschmiert auf dem Boden windet. Das ist hoch expressiv, anstrengend und fordernd.
Wer ein leicht eingängiges autobiographisches Selbsterfahrungstheater mit Veddelbewohnerinnen zum Thema "Zwangsverheiratung" erwartet hatte, wurde enttäuscht. Denn hier wurde unter der Regie von Paulina Neukampf ein Theaterabend mit viel Originaltext und hohem künstlerischem Anspruch gegeben, den nicht nur die Schauspielerinnen (Rabea Lübbe, Gala Othero Winter) und die Musikerinnen (Derya Yildirim, Fee R. Kuerten) sondern alle Beteiligten (Hava Bekteshi, Fatoumata Aidara, Akile Bürke, Zumreta Sejdovic, Nicole Wiemers) mit großer Souveränität erfüllten.
Birgit Schmalmack vom 26.3.17