Die unglückselige Cleopatra


Hollywood lässt grüßen

In der Irrenanstalt mampft ein Insasse vor dem Fernseher Chips. Er verfolgt begeistert eine Hollywood-Schmonzette um die schöne Cleopatra. Immer wieder nickt zustimmend dem Geschehen auf dem Bildschirm zu und reckt er siegesgewiss den Arm empor. Als sich die Geschichte vom TV auf die Bühne verlagert, ist seine Identifikation mit der Rolle des Kaiser Augustus so groß, dass er bald mit auf der Bühne steht und schließlich die Nachfolge von Antionius um die Gunst der schönen Cleopatra antritt.
Auf der offenen Bühne, in deren spitz zulaufender Mitte das barocke Orchester sitzt, spinnt die schöne Ägypterin ihre Männer umfangenden Fäden. In jeder Szene präsentiert sie sich in einem neuen Outfit. Selbstvermarktung ist alles in dieser Welt des Scheins. Marcus Antonius, der Herrscher aus Rom, ist ihr verfallen, und merkt nicht, dass es ihr weniger um Liebe als vielmehr um Macht geht.
Die jüngere Generation ist da wesentlich romantischer: Juba, Candace, Ptolemäus und Mandane stehen treu zu ihren unerfüllten Liebessehnsüchten, auch wenn sie ihnen das Leben kosten sollten.
Regisseur Holger Liebig orientiert sich am Vorbild Hollywood. Er lässt seine Kostümbildnerin Julia Schnittger freie Hand, um in aufwändigen Kostümen zu schwelgen. Dafür hält sich der Bühnenbildner Nikolaus Webern wohltuend zurück. Er arbeitet mit Projektionen: mit denen der unscharfen Filmbilder auf den Fadenvorhang, der die Musiker umschließt, und mit Spiegeln, die die das eigene Bild zurückwerfen.
Drei wohlgestaltete, dunkelhäutige Tänzer stehen Cleopatra stets formvollendet zur Seite. Zum Schluss findet Liebig ein grandioses Bild für den Freitod der ägyptischen Herrscherin: Auf die Körper der drei Männer sind die Teile der Schlange abgebildet, deren Biss Cleopatra tötet. Als sie stirbt, schwebt sie über den drei Tänzern von der Bühne.
Die erste Hälfte der Inszenierung ist mehr den Äußerlichkeiten gewidmet. Der schöne selbstbetrügerische Schein wird zelebriert. Erst nach der Pause wird die Inszenierung so schlicht und konzentriert, dass die Musik stärker in den Fokus rücken darf und in die Tiefe gehen kann. Unter der Bearbeitung und Dirigat von Nicholas Carter wurde aus der Opernmusik des Hamburger Komponisten Joahnn Mattheson von 1704 eine gestraffte Fassung für die kleinere Besetzung. Die jungen Sänger des internationalen Opernstudios glänzen in ihren dramatischen Auftritten. Besonders Chris Lysack beeindruckt mit seiner warmen und variationsreichen Stimme. Levente Pall als infantiler Augustus, Thomas Florio als intriganter Archibus und Daniel Philipp Witte als exaltierter Dercetaeus überzeugen neben ihrer Stimmkraft auch durch ausdruckstarke Spielstärke.
Die Inszenierung schwankt zunächst zwischen ironisierendem Witz und dramatisierendem Ernst, bis sie im zweiten Teil zu einer ausgewogenen und konzentrierten Balance findet.
Birgit Schmalmack vom 25.6.12