Kommandeuse

Zügel nicht locker lassen

Die Zügel darf man nie locker lassen - das ist das Motto von Ilse Koch nach ihren jahrelangen Erfahrungen als Gattin des Lagerkommandanten von Buchenwald. In Gilla Cremers Porträt der "Kommandeuse" führt sie die Peitsche stets mit sich, wenn sie durchs Lager reitet und ihre Autorität untermauern will.

Gilla Cremer schildert einfühlsam, differenziert und ohne vorschnelle Urteile den Werdegang der "Hexe von Buchenwald". Sie war eine Frau, die wie viele ihre Aufsteiger-Träume und heimlichen Sehnsüchte hatte. Gerne betrachtete sie die schmucken SS-Garden bei ihren werbewirksamen Aufmärschen. Da sie viel weiblichen Charme besaß, konnte sie den aussichtsreichen SS-Karrieristen Karl Koch für sich gewinnen. Er ermöglichte ihr den Zutritt zu den erlauchten Kreisen der Nazi-Führungsspitze. Er verschaffte ihr eine Sechs-Zimmer-Villa in Buchenwald mit dem entsprechenden gesellschaftlichen Ansehen der damaligen Elite. Zusätzliches Selbstbewusstsein zog sie aus dem Herabblicken auf die Häftlinge, die ihr Respekt zu zollen hatten und die sie drangsalieren konnte, wenn sie es nicht ihren Wünschen entsprechend taten. Sie genoss diese Macht, die sie als berechtigt empfand. So berechtigt, dass sie sich selbst nach der Hinrichtung ihres Mannes und ihrer eigenen Anklage und Verhaftung durch die Amerikaner als völlig unschuldig begriff.

Gilla Cremer blickt hinter die Fassade "der meist gehassten Frau der Welt", die sich auf diese Art ein Ansehen erschleichen konnte, das ihr unter streng leistungsorientierten Maßstäben nicht möglich gewesen wäre. Sie zeigt sie in vielen, souverän dargestellten Zeitsprüngen als kleines Mädchen, als junge ehrgeizige Frau, als Parteigenossin, als machtbewusste Gattin und Mutter, als verführerische, taktische Geliebte weiterer einflussreicher Männer und als zu lebenslanger Haft verurteilte, selbstmitleidige, alte Frau. Alle Facetten fügt sie bravourös zu einer stimmigen Beschreibung dieser "Bestie" zusammen und schafft es den Menschen dahinter sichtbar und verständlich werden zu lassen.

Birgit Schmalmack vom 9.2.04