Morrison Hotel
Schwein oder Mensch?
Gilla Cremer führte noch einmal ihr Stück "Morrison Hotel" im Rahmen der Kulturwoche des Therapiezentrums Für Suizidalität am UKE im Lichthof auf - aber in veränderter Form gegenüber der Erstaufführung auf Kampnagel im Jahr 1997. Auf Grund der vielen Unverständnisäußerungen und Nachfragen , die sie damals erhalten hatte, veränderte sie ihr Konzept - weg von der Künstlichkeit und Distanziertheit hin zu einem eingängigeren, verständlichen Erzählen. Während sie vorher die beiden Geschichten von Jim Morrison und ihrem Bruder Tom Cremer bis zu Unkenntlichkeit in einander verwoben hatte, trennt sie sie jetzt fast durchgängig und macht es dadurch für ihre Zuschauer wesentlich einfacher beide zu verstehen. Sie verlieren dadurch aber nichts von ihrer Eindrücklichkeit, ganz im Gegenteil. Zu einfach zu sein - den Vorwurf kann man Gilla Cremer nicht machen. Ihre Art Theatergeschichten zu erzählen ist mit so vielen Brüchen, Schnitten und ungewohnten Zusammen- und Gegenüberstellungen verbunden, dass der Kopf auch in dieser eingängigeren Form noch genügend Futter erhält.
Heute wagt sie es, ihr Stück ausdrücklich ihrem Bruder Tom zu widmen, der nach einen schweren Erkrankung an Schizophrenie starb - ob durch einen Unfall oder durch Selbstmord ist immer noch offen. Während es auf Kampnagel eine Geschichte um eine Schwester und ihrem älteren Bruder ging, geht es jetzt um Gilla und Tom. Sie verwebt diese mit der Erfolgs- und Abstiegsstory um Jim Morrison und bettet sie in die Zeit der späten sechziger Jahre ein. Sie schafft es, ein Bild dieser revolutionären Aufbruchsstimmung mit all seinen wichtigen, damals notwendigen, politischen Diskussionsbestrebungen und seinen (selbst-) zerstörerischen Ansätzen entstehen zu lassen, das gleichzeitig Verständnis, Kritik, Sympathie und Hinterfragen erlaubt. Gleich einem schnellen Dokumentarfilm mit blitzartigen Schnitten zeigt sie mit Originalzitaten von Tom und Jim ihre Entwicklungen, begleitet von der Musik der Doors, gespickt mit kleinen Tanz und Songeinlagen. Sie wirbelt durch diesen prall gefüllten Abend mit einer unglaublichen Bühnenpräsenz. Ihre One-Women-Show über diese zwei Männer und ihre Zeit lebt von ihrer Ausstrahlung und Glaubwürdigkeit. Sie beherrscht ihr Metier hervorragend, zumal aus weit mehr als nur dem Darstellen eines Textes besteht. Sie ist diejenige, die sich ihr Thema auswählt, sich ihre Texte selbst schreibt und sich um Vermarktung kümmert.
Der Ausspruch ihres Bruders: "Man kann nur ein Schwein oder ein Mensch sein, dazwischen gibt es nichts" stellt den Anspruch seines Lebens klar und erlaubt jenseits seiner psychischen Erkrankung einen Einblick in seine grundsätzliche Infragestellung allen Tuns und Denkens. Die Regeln der bürgerlichen Welt um ihn herum konnte und wollte er nicht akzeptieren, fand aber keine anderen, die ihm ein Weiterleben ermöglicht hätten. Gilla Cremer schafft es überzeugend, ihn als ein "Extrakt" seiner Zeit vorzustellen und einseh- und verstehbar zu machen. Ein sehr interessanter, intellektuell und künstlerisch anspruchsvoller Theaterabend.
Birgit Schmalmack vom 29.8.01