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Haut auf die Kacke, bis sie spritzt |
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Die auf der Bühne hatten riesigen Spaß, so viel ist sicher. Dort ging die Kostümparty richtig ab. In 100 Akten gab es 25 Songs. Auch sonst wurde hier an nichts gespart. Mitreißende Musik, immer neue Verkleidungen, aufwändiges Bühnenbild und obskure Figuren. Es gab nichts, mit dem an diesem Abend in der Volksbühne kein Schabernack getrieben wurde. Dabei herrschte in SMAK! SuperMachoAntiKristo an ernsten Themen kein Mangel: Kolonialismus, Gewaltherrschaft, Machtmissbrauch, Vergeltung, Revolution oder Rassismus. Alle kamen vor. Denn als Anregungsgrundlage seines opernhaften Abends nutzt der philippinische Filmregisseur Khavn Alfred Jarrys Diktator-Parodie "König Ubu" und Szenen aus "Noli me tangere", einem Roman des philippinischen Nationalhelden José Rizal. In ersterem geht es um die Auflehnung gegen die Autoritäten und im letzteren im die Aufarbeitung der kolonialistischen Vergangenheit. Alles also durchaus mit allerlei schwergewichtigen Inhaltspotentialen aufgeladen. Gegen den über allem thronenden Herrscher Ubulbulul (Daniel Zillmann) mit seiner Scheißhaufenkrone, dessen Palast von riesigen Darmschlingen umrankt ist, zieht eine Frau namens Sisa Jarry in einen Rachefeldzug, nachdem die Mafia ihre beiden Kinder ermordet hat. Unermüdlich dreht die Rächerin (Lilith Stangenberg) dabei ihre Runden auf ihrem vorsintflutlichen Holzradlaufrad, das man sonst nur in Miniversion für Kleinkinder kennt. So lange bis sie zu einem Monolog vor den transparenten Vorhang tritt. Jetzt, eine Botschaft? Etwa etwas Inhaltliches? Doch „Dichtung ist Scheiße.“ hört man da. Oder: „Ich bade im Blut, bis ich unverwundbar bin. “ Ist Rache die Antwort? Nein, so ernst ist hier nichts gemeint. Doch Khavn ist ein enfant terrible, das großen Spaß daran hat, jede Erwartungshaltung an Botschaften sofort zu unterlaufen. Von allem etwas und zwar in Überdosis, ist eher sein Motto. Die Vielfalt des Bühnenpersonals ist allerdings beeindruckend. Khavn hat ein tolles Ensemble auf der Bühne versammelt. Neben dem stimmgewaltigen philippinischen Popsänger-Star Bituin Escalante, dem Folksänger Bullet Dumas und dem Rocksänger Roxlee kommen Lilith Stangenberg, Mick Morris Mehnert und Daniel Zillmann hinzu. Die tolle Truppe aus spielwütigen kleinwüchsigen Darsteller:innen erhöht nicht nur den Diversity- sondern auch den Spaß-Faktor entscheidend. Um die beiden Hauptpersonen gruppieren so wunderliche Gestalten wie Uncle Jesus ex machina (Maximilian Brauer), der Herr der Toten Tikbalangay (Bullet Dumas), die Verführerin Mescalina (Yasmin Saleh) der Wesir Cock-Cock (Sascha Schicht) oder der ananasköpfigem Leibwächter Bossanaga (Cem Aydin). Sie alle werden im Programmflyer vorgestellt, aber eher zum Beweis der überbordenden Fantasie des Regisseurs als zur Erhellung ihrer Bedeutung für das Bühnengeschehen. Ob man die Handlung mitverfolgte oder nicht, war eher unwichtig. Auf der Bühne war sie in dem Dauergewimmelchaos nicht zu erkennen. Wer wollte, durfte sie in den Übertiteln nachlesen. Dann hieß es aber aufzupassen, sich in ihnen nicht zu verheddern. Denn noch mehr textlichen Raum nahmen die Unsinnssätze ein, die den Anschein hatten, als wenn sie aus beliebigen Nachrichtentexten von einer KI neu zusammengewürfelt worden wären. Allerdings einer mit einem Dada-Algorithmus. Nein, Khavn fürchtet sich vor nichts, außer vielleicht vor der Stille und Leere. So richtet er in der Volksbühne ein großes Spektakel an, das zu einem Dauerberieselungsfeuerwerk der Ideen wird. Man fühlt sich an Schlingensief erinnert. Doch bei Khavn sind die Botschaften, falls er sie denn hat, noch besser versteckt. Sobald sich in den Monologen der Rächerin eine Ahnung von möglichen Inhalten andeuten könnte, werden sie in der nächsten Szene wieder konterkariert. Als vergnügungssüchtiger liebevoller Theaterschreck präsentiert sich der philippinische Filmregisseur hier in seiner ersten Theaterarbeit an der Volksbühne. Mit seinen Versatzstücken der zahlreichen Provokationen wie Kackhaufen, meterlangen Dildos, Särgen, Kopulationsszenen, riesigen Brüsten und Vulven will er nie verschrecken sondern nur unterhalten. Alles nicht ernst gemeint, ruft er seinem Publikum zu. Gerade in einem Berlin, das sich einem tiefschürfenden Diskurs über all die wichtigen Themen der historischen und politischen Auf- und Bearbeitung verpflichtet fühlt, ist diese Haltung eher selten und damit zunächst höchst erfrischend. Das war keine Publikumsbeschimpfung, hier wurde alles gleichermaßen durch den Kakao gezogen. Keiner brauchte sich gemeint zu fühlen. So darf man ohne beschwerliche Erkenntnisse voll im Berliner Party-Groove die Volksbühne verlassen. Die Party kann draußen weiter gehen, auch wenn es eine auf dem Vulkan sein sollte.
Birgit Schmalmack vom 18.4.22
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Der Kaiser von Kalifornien, Volksbühne Drama, Volksbühne
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