Sprenger ist Nathan
Der Holzboden ist aufgerissen. Überall Stolperfallen, Löcher und aufgebogene Dielen. Doch Nathan kennt es gar nicht anders. In seinem langen, an Anfeindungen reichen Leben hat er nie einen sicheren Boden gekannt, auf dem er sich bewegen konnte. Als Jude in Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge ist er es gewohnt zwischen den Kräften, die ihm gefährlich werden könnten, zu agieren. Er setzt seine Vernunft, seine Argumentationskraft und Diplomatie ein, wo andere auf Macht und Gewalt setzen. So wirkt er auch nicht überrascht, als er von einer Geschäftsreise zurückkehrt und sein Haus abgebrannt vorfindet. "Juda verrecke" steht mit Kreide auf den Boden hingekritzelt. Ausgerechnet ein christlicher Tempelritter hat seine Tochter (Paula Bierend) aus den Flammen gerettet. Dieser wurde zuvor vom muslimischen Herrscher Saladin (Mohammad-Ali Behboudi) begnadigt. Als Saladin Nathan zu sich an den Hof ruft, will er nicht nur Geld von ihm sondern Wahrheit. Die beleuchteten Symbole der drei Weltreligionen über der Bühne deuten es schon an: Sie stehen stellvertretend für die möglichen Konkurrenten um diesen Wahrheitsanspruch. Nathan erzählt seine berühmte Ringparabel als Antwort. Saladin fühlt sich zunächst mit einem Märchen abgespeist und erkennt Nathans Weisheit erst auf den zweiten Blick. Dass zum Schluss alle Religionen ihre gemeinsamen Wurzeln auch im tatsächlichen Familienstammbaum erkennen können, ist ein besonderer Clou des Klassikers von Lessing, der ihn auch heute noch sehenswert macht. Doch natürlich ist er eine Utopie. Das wird bei den heutigen Konflikten, von denen jede Nachrichtensendung berichtet, nur allzu deutlich. Ließ Regisseur Wolf-Dietrich Sprenger deswegen den Abend mit dem Udo-Lindenberg-Song: "Wozu sind Kriege da?" enden? Die Poesie eines Lindenberg wirkt neben der wortgewaltigen Sprache eines Lessing provozierend naiv. Dennoch bleibt es der einzige Versuch einer Aktualisierung des Stoffes, der gar keiner bedarf. Wolf-Dietrich Sprenger als Nathan ist die Idealbesetzung und steht klar im Zentrum dieser Aufführung. Er ist ein Nathan, dem man den Witz, die Intelligenz, die Lebenserfahrung und die Seelegröße eines Nathan in jeder Sekunde abnahm. Er füllte seine Rolle mit Persönlichkeit. Neben ihm überzeugte Jonas Minthe als frisch verliebter, aufbrausender Tempelritter. Auch Jessica Kosmalla verstand es, die christlichen Vorurteile ihrer "Daja" intrigant auszuspielen. Eine solide Umsetzung des Klassikers, in der Sprenger weitgehend dem Text vertraute. Birgit Schmalmack vom 6.10.16
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