Schöner Scheitern
Den Deutschen sagt man nicht gerade nach, dass sie die Meister beim Feiern sind. Dankeswerter weise hat es sich die „Groupe della Fête“ unter der Regie von Maria Ursprung zur Aufgabe gemacht ganz nüchtern (wenigstens zu Beginn des Abends) ihren Erforschungen der deutschen Feierkultur nachzugehen und ihre Ergebnisse nun nicht mehr nur einer kleinen Schar Eingeweihter in der Zentrale sondern einem größeren Kreis im Thalia in der Gaußstraße zur Verfügung zu stellen. Wunderbare, nur wenig überspitzte Abziehbilder gängiger Klischeevorstellungen liefern sie zu diesem Themengebiet ab. Sie brauchen dafür keine Worte, jedenfalls keine gesprochenen. Bloß keinen Fehler wollen diese Vier Feierwilligen, aber –unfähigen machen, am großen letzten Tag des Jahres. Die Dame des Hauses hat alles perfekt vorbereitet: Stündlich präsentiert sie sich in einem neuen güldenen Kleid. Der Pappkarton mit der Aufschrift Silvester ist vom Dachboden geholt, die Berliner sind besorgt, die Schnittchen angerichtet, das Goldgeschirr geputzt, die Sektgläser aufgereiht, der Sekt kühl gestellt. Jeder spielt seine genau ausgefeilte Rolle im bestens bekannten Ablauf des Abends. Jedenfalls versucht er es nach seinen Möglichkeiten. Kleinste Fehler werden von der Gruppe sofort mit peinlichem, irritiertem Blick quittiert, dann mit betretenem Wegsehen ignoriert und schließlich mit einem neuen Programmpunkt überspielend ad acta gelegt. Beruhigt kehrt jeder zum Programm zurück, um die Stimmung zu retten. Schon die Kleidung macht klar, wer hier gerne welche Rolle spielen möchte. Die schöne goldene Frau (toll: Franziska Hartmann) in ihrer Mitte will jeder gerne gewinnen. Doch klar hat einzig der Möchtegern-Macho (Jörg Pohl) in rosa Samtanzug reelle Chancen. Da kann der Western-Verschnitt (Thomas Niehaus) im Glitzerjackett, Lederhose und spitzen Stiefeln noch so engagiert den Hüftschwung vorführen. Das Muttersöhnchen (grandios: Julian Greis) in der Runde versucht es erst gar nicht. Er kommt mit Musterpullover unter Blazer mit riesigen Kragenecken daher und hat sich klaglos in seine Versagerrolle eingefunden. Treuherzig lächelnd nimmt er dankbar die Brosamen auf, die die anderen ihm zuwerfen. Ursping erzählt Geschichten ohne Worte. Die erlesenen Requisiten in diesem Prototyp-Wohnzimmer sind eine Fundgrube für Sozialwissenschaftler in Sachen deutsches Kulturgut der sechziger Jahre. Alles ist da versammelt: der gold umrahmte, röhrende Hirsch über dem Sofa, das Hirschgeweih auf der scheußlichen goldbraunen Mustertapete, die Urne als Abfalleimer, der winzig kleine Schwarz-Weiß-Fernseher mit Videorekorder, die obligatorische Samtgarnitur mit aufgeschüttelten Sofakissen. Doch was wäre eine „Festzeitstory“ ohne die Instrumente, die plötzlich unter dem Sofa hervorgeholt würden. Wo singt, da lass dich ruhig nieder! Für diese Truppe sollte man sich den Gehalt dieses Ausspruchs noch einmal hinterfragen. Denn wenn diese Vier anfangen zu singen, dann ist es kein Zeichen purer Lebensfreude sondern größter Verzweiflung. Einzig um die Verlegenheit und Langeweile zu überspielen, greifen sie zu etwas ihnen so Wesensfremden wie der Musik. Da versucht der Samtanzugsmacho auf Denglisch zu rappen. Da swingt das Muttersöhnchen im Sambarhythmus. Da stimmt die goldene Schöne sanftmütige Choräle mit fragwürdigen Texten an. Da tutet der vermeintliche Westernheld mit voller Kraft seinen Speichel in die dicke Tuba, um ihn anschließend mit großem, weitschwingendem Auftritt wieder hinauszulassen. Wenn auch die auf der Bühne wenig Spaß zu haben scheinen, das Publikum hat ihn umso mehr. Denn diese vier Stocksteifen sind nicht nur äußerst musikalisch sondern auch exzellente Schauspieler. Erst nach drei Zugaben bei jubelndem Premierenapplaus durften die Vier wieder in sich zusammensinken und sich mit stoischem Blick und trottendem Schritt von der Bühne schleichen. Birgit Schmalmack vom 8.3.13
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