Die Tragödie der Kunst
Die Ähnlichkeit ist verblüffend. Markus Boysen ist nicht wieder zu erkennen. Glatze mit langen blonden Haarkranz, dicke Brille, eingezogene Schulter, steifer Hals, tiefe, rauchige Stimme. Marc Rothko, der große Maler des monochromen, abstrakten Expressionismus steht auf der Bühne der Kammerspiele. In dem Stück von John Logan erleben die Zuschauer einen Künstler, der nicht nur mit sich selbst ringt sondern auch mit seinem jungen Gegenüber. Einen Assistenten hat er engagiert. Student der Kunsthochschule, der sich durch die Begegnung mit dem großen Künstler Anregungen für seine eigene Kunst erhofft. Doch dieser Mann gleicht eher einen hermetisch verschlossenen U-Boot, das in tiefer Selbstgefälligkeit und Ichbezogenheit um sich kreist. Nie geht Rothko in die Natur, er hasst Tageslicht, er will seine Bilder beschützen vor falschen verletzenden Blicken. Nur bei liebevoller Betrachtung können die Bilder in den Rottönen zum Leben erweckt werden. Wer sie richtig ansieht, sieht sie pulsierend, sprechend, sich bewegen. Doch der junge Mann sieht falsch, steht falsch, hat die falschen Bücher gelesen, stellt die falschen Fragen und erdreistet sich eine eigene Meinung zu haben. So darf er zunächst nur Farben anrühren, Leinwände bespannen, grundieren und Kaffee- und Zigarettennachschub besorgen. Erst als er aufbegehrt, erkennt Rothko, dass er einen denkenden Menschen in sein Atelier gelassen hat. Denn Rothko hat Angst vor dem Verschwinden. So wie er mit seinen Kollegen zum Zerstörer des Kubismus eines Dali oder Picasso wurde, wird er eines Tages hinweggefegt werden von der nächsten Entwicklungsstufe. Vielleicht durch die Kunst eines Lichtenstein oder Warhol, die er verabscheut? Sie malen Comics und Suppendosen, fixieren nur den Moment. Genau deswegen versucht er den Vertreter der möglichen nächsten Generation klein zu halten. „Bevor du nicht alle deine Vorgänger wahrhaft verstanden hast, kannst du dich nicht weiter entwickeln“, so predigt er ihm. Rothko vertritt den intellektuellen Künstler, der seine ganze Lebensverzweiflung in seine Kunst fließen lässt. Wir haben die Kunst, um nicht an der Wahrheit zu verzweifeln. Und dennoch erzählt jeder Pinselstrich eine ganze Tragödie, die der Künstler fühlen muss. Doch die tumben Käufer und Galeristen degradieren seine Bilder zu Kamindekorationen, Prestigeobjekten oder gewinnbringenden Investitionen. Ein Stück, das tiefe Einblicke in das Leben eines Künstlers vermittelt. Wunderbar gespielt von Boysen. Jacob Matschenz ist ihm ein würdiges jugendliches Gegenüber. Birgit Schmalmack vom 15.1.13
|
|
|