Was kann Sprache?
Über die Sprache läuft in dieser Familie alles. Sie ist für sie zugleich das wichtigste Ausdrucksmittel und Streitobjekt. Vater Christopher (Carsten Klemm) hält sie für unabdingbar, um Gedanken und Gefühle überhaupt begreifen zu können. Erst durch deren Benennung durch Wörter würden sie existent und verständlich. Sohn Daniel (Sven Gey) dagegen findet die Sprache unzulänglich, um adäquate Verständigung zu ermöglichen. Tochter Ruth (Theresa Rose) ist auf die Opern-Musik ausgewichen um ihre Gefühle auszudrücken und ist damit für ihren Vater uninteressant geworden. Mutter Beth (Isabella Vertes-Schütter) glaubt daran, dass sie durch ständige Kommunikation die Beweggründe ihrer Mitmenschen ergründen könnte. Sohn Billy (Eyk Kauly) ist taub. Da er nie die Gebärdensprache gelernt und auf das Lippenlesen und mühsame Artikulieren als Verständigungsmittel angewiesen ist, ist er daher weitgehend zum stillen Zuschauer ihrer heißen Debatten verurteilt. Er bleibt aber für alle ein interessantes und stummes Objekt, auf das sie alle ihre jeweiligen Wünsche projizieren können. Erst als er die taub werdende Sylvia kennen- und liebenlernt, scheint sich ihm eine neue (Sprach-)Welt zu eröffnen. Er lernt von ihr die Gebärdensprache und plötzlich ist die Redegewandtheit seiner Familie nichts mehr wert. Nun stellt er die Bedingungen der Kommunikation und definiert die Begriffe, die verwendet werden. Autorin Nina Raine schont ihre Zuschauer nicht, wenn sie die maroden Unterdrückungs- und Manipulationsmethoden dieser intellektuellen Familie bloß legt. Die gegenseitigen Beleidigungen werden nur so durch die cleane, hochstylische Wohnküche geschleudert. Liebe und Interesse werden hier hauptsächlich durch heftige Kritik transportiert. Einzig Billy ist von diesem Wettbewerb unfreiwillig ausgeschlossen. Regisseur Peter Hailer zeigt dies alles ungeschönt und in großem Tempo. Als Billy das wohl einstudierte Familiensystem ins Drudeln bringt, kann die Wendung beginnen. Eine hochspannende Arbeit mit tollen Schauspielern am Ernst Deutsch Theater, das den Zuschauern neue Erfahrungs- und Gedankenwelten offenbarte. Birgit Schmalmack vom 29.8.12
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