Alles inklusive
Im Himmel auf einem Wolkenbett vor strahlend blauen Himmel begegnen sich die Generationen. Was zunächst nach Schrebergartenidylle aussieht, gerät zu einer ungeschönten Auseinandersetzung mit der Geschichte. Die Oma hat sich einen Urlaub mit allen Finessen geleistet, so erzählt sie ihrem Enkel. Schließlich sind 50 Jahre zu feiern. Doch nicht 50 Jahre mit ihrem Ehemann hat sie begangen, sondern mit Deutschland. Fürs Feiern dieses Anlasses hat die jüngere Generation allerdings wenig Verständnis. Ungefragt hineingeboren in dieses Deutschland stellen sie viele bohrende Fragen an die Großeltern, die die Entscheidung der Migration für sie gleich mitfällten. Warum sind alle Türken bloß so uncool? fragen sie. Die Alten erwarteten nicht viel, die Jungen umso mehr. Während die Ahnen sich mit Arbeiten, Essen, Schlafen, Kindern und Beschneidungs- und Hochzeitsfeiern zufrieden gegeben haben, wollen die Enkel mehr erreichen. Nur langweilige Türken unter vielen zu sein reicht ihnen einfach nicht mehr. Doch wie soll das gehen? Die Jungen fühlen sich wie weggeworfene Steine, heimatlos und wertlos. So finden sie sich in Jobs wieder, in denen sie sich als Spione in die Migrantenszene einschleusen lassen. So sollen sie das Vertrauen der älteren Migranten gewinnen, um sie mit Prämien aus ihren Wohnungen locken. Mögen die Rentner auch wertlos für Deutschland geworden sein, ihre Wohnungen in Zentrumsnähe sind es nicht. Die findigen Senioren haben dagegen Strategien entwickelt, um sich die Zeit in Deutschland in angenehmen Nischen zu vertreiben: Die eine vergnügt sich unter dem Nickname „Berlin-Nachtigall“ im Türkeichat, der andere im Swingerclub, weil es dort im Gegensatz zu seiner kalten Hartz-IV-Bleibe so schön warm ist. Hakan Savaş Mican hat einen anspielungsreichen, hochkomplexen Text als letzten Teil der Trilogie über 50 Jahre Einwanderungsgesellschaft für das Ballhaus Naunynstraße geschrieben. Er verweigert ihm ein versöhnliches Ende: Der Selbstmord des hyperintelligenten Mehmet war in dieser „Pauschalreise“ im Preis inbegriffen. Er wurde als kleiner Junge von seiner Mutter bei der Verwandtschaft in der Türkei zurückgelassen. Er leidet noch als 30-Jähriger unter diesem Trauma so sehr, dass er sich rücklings von der Gartenbank in den Tod stürzt, während sich der Bühnenhimmel verdüstert. Der variantenreiche Text kontrastiert stark mit der statischen Inszenierung von Lukas Langhoff. Die Darsteller reihen sich für jede Szene brav auf der Himmelsbank ihrer gescheiterten Träume auf. Für die Laien unter den Mitwirkenden birgt dieses Konzept, das sich voll auf den sprachlich anspruchsvollen Text konzentriert, Schwierigkeiten. Gerade die jugendliche, körperbetonte Energie der jüngeren Laien kommt in Langhoffs sitzender Umsetzung nicht zur Geltung. Die erfahrenen Profis gelingt es dagegen trotz ihres Akzents mit ihren Textpassagen zu berühren. Birgit Schmalmack vom 8.6.12
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