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Verbrennungen

Zur Kritik von

Abendblatt 
godot 
 


Verbrennungen


Wissen ist Gestaltungsmacht
Unfassbar Schreckliches hat Nawal (Juliane Koren) in ihrem Leben durchlitten. Sie kommt aus einem Kriegsgebiet. Ihr Mann ist tot. Ihr Sohn ist ihr gleich nach der Geburt weggenommen worden. Sie ist 10 Jahre lang in Einzelhaft gehalten und währenddessen immer wieder gefoltert und vergewaltigt worden. Sie flieht ins Ausland mit den Zwillingen, die aus einer dieser Vergewaltigungen entstanden sind. Die Beiden erzieht sie in dem Glauben, einen Widerstandshelden als Vater gehabt zu haben. Aber fünf Jahre vor ihrem Tod verfällt die Mutter in ein Schweigen, für das die Zwillinge keine Erklärung bekommen. Jetzt treffen sie bei ihrer Beerdigung und Testamentseröffnung zusammen und begegnen dem letzten Lebensgefährten ihrer Mutter, dem Notar (Oliver Hermann). Im letzten Willen ihrer Mutter werden die Kinder aufgefordert, dem Schweigen ein Ende zu bereiten. Sie sollen sich aufmachen den Vater und ihren Bruder zu suchen. Die Schwester (Angelina Häntsch) reagiert darauf anders als ihr Bruder: Jeanne bricht in das Heimatland ihrer Mutter auf, während ihr Bruder Simon (Jonathan Müller) sich zunächst verweigert.
Jeanne macht erschreckende Entdeckungen, die letztendlich auch Simon ihr folgen lassen. Autor Wajdi Mouawad hat eine Tragödie antiken Ausmaßes geschrieben. Es stellt sich heraus, dass Bruder und Vater ein und dieselbe Person und Jeanne und Simon keineswegs einen Helden sondern einen Vergewaltiger und Folterer als Vater haben.
Das Publikum sitzt in der Regiearbeit von Konradin Kunze mitten im Geschehen. Auf dem Bühnenplatz sind behelfsmäßige Baracken entstanden. In eine der Betonwände hat eine Granate ein Loch geschlagen. Immer wieder verschränken sich die Zeitebenen. Je nach Erkenntnisstand der Zwillinge wird die Vergangenheit der Mutter zu ihrer Gegenwart. Um Wahrheit und Konstruktion der Wirklichkeit geht es, aber auch um Geschichte und Geschichten, um Rache und Liebe, um Gewalt und Vergebung. Diese Frau, die singt, ist stark. Sie singt, um nicht den Verstand zu verlieren, um sich hör- und wiedererkennbar zu machen und um sich selbst eine Stimme zu geben. Dies ist ein Stück, das berührt, weil es eine Frau zeigt, die fest an den stets möglichen Erkenntnisprozess des Menschen durch Zuwachs an Wissen, Lesen, Schreiben und Sprache glaubt und ihn selbst vorlebt.
Birgit Schmalmack vom 29.5.12



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