Fall-Beispiele Ein Mann steht bewegungslos wie eine Schaufensterpuppe. Es fällt ein Schuss. Der Mann fällt in Zeitlupe zu Boden. Von einem zuschauenden Paar kommt der männliche Part auf den Stürzenden zugerannt. Minutenlang wälzen sich die Beiden auf dem Boden. Der Sterbende wird eins mit dem Haltenden. Diese Endszene aus dem Fassbinder-Fim „Der amerikanische Soldat“ bildet den Ausgangspunkt für Philipp van Heijdens Untersuchung über das Fallen. Zuerst werden die Grundlagen erkundet. Kriechen, Robben, Schieben auf dem Boden bilden die Basis für die Erreichung der ausreichenden Fallhöhen. Nur Jascha Viehstädt wagt sich schon zu Beginn hoch hinaus. Er tanzt virtuos auf den Zehenspitzen, schiebt einzelne Muskeln seines Körpers in eine neue Position, während er nie mit zwei Füßen gleichzeitig den Boden berührt. Nachdem die Verhinderung des drohenden Falls noch als Einzelperson trainiert wurde, erreicht das Fallen die Beziehungsebene. Gegenseitig wirbeln sich die Drei so lange herum, bis einer droht zu fallen. Noch gerade rechtzeitig wird er aufgefangen. Beim gegenseitigen Anspringen fängt der eine den anderen zunächst auf, um sich dann mit einem beherzten Wurf seiner Last zu befreien. Mit lautem Knall landet sie auf dem Boden. Der immer präsente, vierte Mitspieler ist der Cellist Andi Otto, der mit seinem „fello“ dem Instrument das Fliegen und das Fallen lehrt. Dafür hat er das Cello und den dazugehörigen Bogen mit Sensoren versehen, die ihm magische Klänge verleihen. Für einen tatsächlichen Perspektivwechsel mussten die Zuschauer danach die Seiten wechseln. Ein abrupter Bruch warf sie von den meditativen, ruhigen konzentrierten Betrachtungen und Bewegungsanalysen Heijdens in die laute, bunte Performance von Franziska Henschel. Sie nahm das Thema wörtlicher. Zunächst ging es ihr um Auffälligkeit, die auch Peinlichkeiten in Kauf nimmt. Wenn dieser Grad bei den vier Performern erreicht war, zog derjenige sein T-Shirt über den Kopf. Entzog sich so den Blicken und gab sich zugleich eine Blöße. Der Zufall, sich fallen lassen und sich hingeben waren die nächsten Assoziationen Henschels. Torkelnd durch den Raum laufen und dabei Risiko des Stürzens in Kauf nehmen. Den kurzen Moment des Fallens ausdehnen, indem die Performer immer wieder den Schrei eines Stürzenden ausstoßen, bis ihnen der Atem ausgeht. Öffentlich ausgestellte Momente des Scheiterns werden auf den Bildschirmen gezeigt. Eine Talkshow, in der der Behinderte interviewende Moderator sich nicht mehr beherrschen kann und in Lachsalven angesichts ihrer verzerrten Stimmen ausbricht, lässt bei den Zuschauern das Lachen im Halse stecken bleiben. Zuerst können nur die Performer das Video sehen, zeitversetzt dann auch die Zuschauer. Zum Schluss wird ihnen bewusst, dass nicht mehr sie die Darsteller betrachten sondern beim Zuschauen betrachtet werden. Vielfältige Bilder, vielschichtige Gedankenspiele bot die Doppelarbeit. Die zwei Perspektiven fügten sich in erst in der Nachbetrachtung zu einem sehr anregenden Ganzen. Eine Zusammenführung beider Sicht- und Arbeitsweisen in einem imaginären dritten Teil musste somit im Kopf der Zuschauer stattfinden. Birgit Schmalmack vom 20.5.12
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