S1, St. Pauli Theater

S1 von Frank Siemers

Digger, dies hier ist Hamburg

Auch das St. Pauli-Theater hat jetzt auf das Erfolgspferd Musical gesetzt. Es erkannte klar die Lücke des bisherigen Themenspektrums und feiert nun sein „Singspiel“ mit Hamburg-Feeling pur. Als musikalische Grundlage dienen Hamburgsounds von lokalen Größen wie Kettcar, Hans Albers, Udo Lindenberg, Tocotronic oder Jan Delay. Die S1 verbindet Barmbek, Reeperbahn und Blankenese und damit einen traditionellen Arbeiterbezirk, den Kiez und die reichen Elbvororte. Diese Straßenbahnlinie hat sich das St. Pauli-Theater vorgeknöpft, um daraus ein Musical zu machen. Der Querschnitt an Menschen, den man auf einer Fahrt mit der S 1 trifft, könnte nicht größer sein.
Da die Liebe unverzichtbarer Zutat eines erfolgreichen Musicals ist, hat Regisseur Ulrich Waller und Autor Markus Busch eine Liebegeschichte mit Hindernissen zwischen einer ziellosen und geldschweren Blankeneserin und einem arbeitslosen Barmbeker mit Migrationshintergrund eingebaut. Um diese identifikationsstiftende Herz-Schmerz-Geschichte ranken sich allerlei Hamburger Gewächse. Rappende Möchtegern-Ganster, die zwischen den Bahnreihen auf dicke Hose machen, Elbschicksen, die strategisch erst die künstliche Befruchtung und dann die ertragreiche Scheidung planen, russische Putzfrauen, die sich plötzlich im Schlafzimmer einem Dominique Strauß-Kahn von der Elbchaussee gegenübersehen, schnorrenden Punker, die in Schottenrock und Kettenhemd um einen Euro betteln, schwäbelnde Touristen, die in Allwetter-Touring-Klamotten in den Kiez einfallen und aufgetakelte Transen, die an ihnen für eine Insider-Tour gutes Geld verdienen. Eine liebevolle, mit allerlei Hamburgflair versehene Inszenierung, die sich zum Dauerbrenner auf der Kiezmeile entwickeln dürfte.
Birgit Schmalmack vom 29.9.13

Zur Kritik von

Abendblatt 
NDR