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Abendblatt |
The King’s Speech
Nutzen der Möglichkeiten
Er braucht mehr Übung. Das sagen die Wohlmeinenden über Herzog Albert. Ein hoffnungsloser Fall, das meinen die anderen. Sein Bruder David, der redegewandte Lebemann, nennt ihn nur den „B-B-B-Berti“. Denn Albert stottert. Durch die strenge Erziehung seines königlichen Elternhauses, die ihn von klein auf an eine mögliche Thronfolge als britischer König vorbereiten sollte, mit zahlreichen Komplexen versehen, hat er auch als erwachsener Mann nicht zu einem selbstbewussten Auftreten gefunden. Tröstete er sich bisher damit, dass sein erstgeborener Bruder David dieses Amt als Führer der Nation übernehmen würde, so kommt er nun durch dessen ungebührliche Liaison mit der verheirateten Amerikanerin Miss Simpson in die Verlegenheit, Verantwortung für England übernehmen zu müssen. Denn die Lage ist ernst: Hitler steht mit seinen weitreichenden Eroberungsplänen kurz davor der Insel den Krieg zu erklären. Da braucht es einen moralisch einwandfreien Führer. Das siehen auch Winston Churchill und der Erzbischof von Canterbury so. Albert ist ein überaus integerer Kandidat. Wenn nur das Stottern nicht wäre. Seine Ehefrau Elizabeth greift zur Selbsthilfe. Sie sucht den Sprachtherapeuten Lionel auf. Der wendet unkonventionelle Taktiken an: Er kennt keine Berührungsängste und lässt den angehenden König tanzen, singen und auf dem Boden liegen, um ihm zum flüssigen Reden zu bringen. Der Durchbruch gelingt aber erst, als Albert selbst erkennt: „Ich habe ein Recht darauf gehört zu werden!“
Michael Bogdanov hat den oscarprämierten Film auf die kleine Bühne des St.Pauli Privattheaters gebracht. So sorgt er für majestätisches Flair auf die Reeperbahn. Er nutzt geschickt die vorhandenen gold angepinselten Balustraden des Zuschauerraumes um sie als goldene Säulen auf der Bühne fortzuführen. Die Beschränktheit der Bühne macht er durch minutenschnell wechselnde Projektionen der einzelnen Räume wett. Da hat zwar speziell am Anfang ein hektisch rascher Dekorationswechsel zur Folge, täuscht aber eine Opulenz vor, die einem König angemessen ist. Konventionell wird die Filmgeschichte mit ihren privaten und historischen Verwicklungen in schnellem Szenenschnitt nacherzählt. Da die Darsteller, speziell der beiden Hauptrollen, aber brillant besetzt sind, gelingt das ohne Spannungseinbrüche. Marcus Bluhm gibt den herzensguten, klugen aber unsicheren genau das richtige Maß an traumabehafteter Unsicherheit, herzöglicher Arroganz, selbstironischer Herzenswärme und zaghaftem Wutausbrüchen. Boris Aljinovic ist der schlagfertige, witzige, zupackende Therapeut, der sich auch deswegen so gut in seine Patienten hineinversetzen kann, weil er selbst als erfolgloser Schauspieler über viele Erfahrungen mit Zurückweisungen verfügt. Viel Applaus im fast ausverkauften Privattheater für die überzeugende Umsetzung des Erfolgsfilmes für die Bühne.
Birgit Schmalmack vom 4.12.12