Fett swien
Der Laufsteg der Normalos
Muss man die Menschen immer nach ihrem Aussehen beurteilen? Wonach denn sonst? Dieser kleine Dialog zwischen Tom und Clemens beinhaltet eigentlich schon die knappe, aber vielsagende Quintessenz des gesellschaftskritischen Stückes „Fettes Schwein“ von Neil LaBute. Eine Gesellschaft, die ihre Freizeit mit Talkshow, die die Anderen als Ausschussware ausstellen, oder mit Castingshows, die die genormten angeblichen Schönheiten als Maßstab anpreisen, verbringt, muss die Nichtnormgetreuen aussondern. Clemens erklärt auch warum: Weil wir sonst unser Sicherheitsgeländer verlieren, an dem wir uns durchs Leben hangeln können. Der Laufsteg als Rückversicherung der eigenen Tauglichkeit.
Auch wenn die Botschaft simpel und schnell erzählt ist, wird sie doch durch die Story von Tom und seiner pfiffigen, unkomplizierten Freundin Milena, die aber mehr als tolerierbar vollschlanke Maße aufweist, in dem intimen Ambiente des Ohnsorg Studios ganz nah an die Zuschauer herangerückt. Tom müht sich ernsthaft seinen eigenen Maßstäben zu trauen, die ihm sagen, dass es sich bei Milena so wohl fühlt wie bisher noch bei keiner Frau. Doch die Umwelt in Form seiner tratschenden, missgünstigen Kollegen, die jeden aufs Normalmaß herunterziehen wollen, macht ihm und Milena das Zusammenleben zu schwer.
Es gibt sicher vielschichtigere Stücke von LaBute. Im Ohnsorg Studio lebt es von der hervorragenden Besetzung der beiden Hauptpersonen. Jacques Freyber ist ein sympathischer, treuherziger, aber schwacher Tom und Tanja Bahmani ist eine wunderbar witzige, schlagfertige, in sich stimmige Milena. Die beiden Nebenfiguren (Kristina Bremer, Tobias Kilian) dienen eher als Spiegel der gängigen Klischees.
Die Bühne ist ein silberner Laufsteg, auf dem die Personen sich und ihre durchtrainierten Eitelkeiten präsentieren können. Obwohl es Milena nicht an Selbstbewusstsein mangelt, kann sie den Steg für ihre Auf- und Abtritte nicht unbeschwert nutzen. Er ist schlicht zu schmal dafür, wenn sie halbwegs elegant einem anderen ausweichen möchte. Witzig der Einfall, durch hochklappbare Tabletts mit entsprechender, festgeklebter Ausstattung mal eine Sushi-Bar, mal einen Büroarbeitsplatz entstehen lassen. Die plattdeutsche Übertragung von Cornelia Ehlers bringt die Beleidigungen und Wortspielereien ohne falsche Scham auf den Punkt. Die flotte Inszenierung von Friederike Barthel kann auch junges Publikum ins Ohnsorg Theater ziehen.
Birgit Schmalmack vom 2.4.14