Harold un Maude, Ohnsorgtheater
Sterben um das Leben zu vermeiden
Die Fototapete auf der Bühne ist ein buntes Mosaik aus Eindrücken von Maudes 79-jährigem Leben, das von einer reichen Zeit zeugt. Die Demos gegen Raketen, die Liebe zu den Vögeln, der Sinn für die Musik, ihr Erfindungsreichtum und ihre Reiselust sind nur einige davon. Der junge Harold dagegen hat nur ein Hobby: sich auf immer neue Arten das Leben zu nehmen. Auf einer Beerdigung haben sie sich kennen gelernt: die 79-jährige lebenslustige Maude und der 18-jährige lebensmüde Harold. Eine anrührende Liebesgeschichte beginnt, die Harold wieder in das Leben zurückführen wird.
Ganz in schwarz mit einer rentnerbeigen Jacke ist Harold gekleidet. Immer wieder versucht er mit einem neuen Selbstmordtrick für Aufmerksamkeit zu sorgen. Nur die von seiner exzentrischen Mutter verordneten Termine mit seinem Psychiater bringen ihn außer Haus. Auf seine Selbstmorde reagiert sie mittlerweile nur noch mit einem schrillen: „Ach nicht schon wieder!“ Dann folgt eine weitere Lamento-Arie, die eigentlich nur eines zeigt: ihr Desinteresse an ihrem Sohn.
Maude lebt ganz anders: Ihre bunten Klamotten und ihre roten Haare erzählen schon von weitem von ihrer Lust an Entdecktem, Geliehenem, Gebasteltem und Erfundenem. Harold ist fasziniert von der Neugier und Lebensfreude dieser Frau. Auch als sie sich an ihrem achtzigsten Geburtstag zu einer radikalen Veränderung entschließt, hat er von ihr so viel gelernt, dass er jetzt nicht mehr den Tod suchen muss, um das Leben zu vermeiden.
Für das Kultstück gibt es im Ohnsorgtheater mit Marco Reimers und Uta Stammer die Idealbesetzung für die Hauptrollen. Die platt snackende Maude ist kernig und liebevoll zugleich. Der ernste, schüchterne und hochdeutsch redende Harold lernt die Sprache von Maude zu verstehen und sogar ein paar Wörter zu sprechen. Die Kombination der beiden Sprachen Plat und hochdeutsch ergibt sich so wie von selbst. Regisseur Jasper Brandis geht unverkrampft und humorvoll an den Klassiker heran. Während er die Beziehung zwischen Harold und Maude mit ernsthaftem Tiefgang beleuchtet, dürfen Sebastian Herrmann und Kathrin Ost in wechselnden Nebenrollen die humoristischen Elemente verstärken. Gute Unterhaltung, die den Blick auf die wesentlichen Dinge im Leben schärft.
Birgit Schmalmack vom 4.1.18