Scherbenkonto

Scherbenkonto von Tilla Lingenberg



Was bleibt?

Der Vater ist gestorben. Das Elternhaus wird aufgelöst. Umzugskartons markieren die leeren Zimmer. Was bleibt?
Die beiden Geschwister Gabi (Claudia Reimer) und Franz (Torsten M. Krogh) ziehen Bilanz. Die dritte im Bunde ist „Muffin“, die dralle, wesentlich jüngere Ehefrau Heike (Pegan van Pelt) des Bruders. Sie war die einzige, die in den letzten Jahren den Schwiegervater besucht hatte. „Ein netter Mann“, meint sie. Das sehen die Geschwister ganz anders. Hass, Distanz, Traumata statt Liebe, Nähe und Verbundenheit kennzeichnen diese Eltern-Kind-Beziehungen.
Drei Versionen einer möglichen Begegnung mit den Hinterlassenschaften des Vaters erleben die Zuschauer im Monsuntheater bei „Scherbenkonto“. In jedem Durchgang ist es scheinbar ein anderer, bei dem der Tod alte Wunden aufreißt. Doch das Stück von Tilla Lingenberg lebt gerade davon, dass es nicht so leicht durchschaubar ist, wie die vermeintliche Konstruktion vermuten lässt. In jedem der Durchgänge kommen neue Tatsachen heraus, die die Figuren in jeweils anderen Licht erscheinen lassen. Dennoch schließen sie sich nicht gegenseitig aus sondern ergänzen sich zu einem stimmigen Gesamtbild, das aber immer noch genügend Fragen offen lässt, um interessant zu bleiben. Sind Kinder zur Liebe verpflichtet, selbst wenn der Vater in Tobsuchtsanfällen den Sohn verprügelt und die Tochter dagegen als seine Püppi verzärtelt hat? Wie verarbeiten die Kinder ihre Erfahrungen und Prägungen in ihrem weiteren Leben? Wie sehr bestimmen die familiären Wurzeln die weitere Entwicklung?
Das Stück spürt auch den zarten Momenten der Kindheitserinnerungen nach: den Lieblingssüßigkeiten, den Sonntagsritualen, den Heimlichkeiten unter den Geschwistern, den ersten Liebschaften und den ungestillten Sehnsüchten. Lingenberg verwendet eine knappe, lakonische Sprache. Geschwätzigkeit ist diesen Menschen, die eindeutig in Hamburg angesiedelt sind, fremd. Das Wichtige bleibt oft unausgesprochen und klingt dennoch unüberhörbar an. Ohne zusätzliche Schnörkel zu benötigen, vertraut Regisseur Tilman Madaus ganz dem Text und seinen Darstellern, die auch die feinen Zwischentöne ausloten können – zu Recht: ein sehenswerter Theaterabend.
Birgit Schmalmack vom 1.3.13

Zur Kritik von

godot