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Nachtkritik 
Abendblatt 

Das Totenschiff

Das Totenschiff Foto (c) Sinje Hasheider



Tolle Inszenierung

Gales existiert nicht mehr, denn er hat mitten im Krieg seine Papiere verloren. Nur wird er von Grenze zu Grenze geschickt und muss überall fürchten von der Polizei aufgegriffen zu werden. Als Staatenloser ist er auch ein Rechtloser. Obwohl er lebt, ist er für die Bürokratie tot. So heuert er auf einem abgewrackten Schiff als Heizer an. Für das „Totenschiff“ braucht man keine Papiere. Hier schuften die Recht- und Hoffnungslosen aller Nationen, bis sie tot in die Glut der Heizöfen fallen und wie Müll über Bord geworfen werden. Gales will das nicht hinnehmen. Er klammert sich an die Hoffnung, irgendwann in seine Heimatstadt New Orleans zurückzukehren. Die anderen Besatzungsmitglieder können nur müde lächeln. Sie sind schon so lange auf dem Schiff, dass sie begriffen haben: Dies ist unser Zuhause.
Jungregisseurin Clara Weyde schildert mit ihren vier tollen Schauspielern eine Männergemeinschaft, die nichts mehr zu verlieren hat. Der Stoff aus der Zeit des ersten Weltkrieges von B. Traven könnte angesichts der derzeitigen Flüchtlingsbewegungen nicht aktueller sein, dennoch verzichtet Weyde klugerweise auf jede gewollte Aktualisierung. Zwei mächtige Schreibtische und schon entstehen Amtstuben, Schiffe, Pritschen und Heizkessel. Die vier Körper erschaffen Grenzen, Flüsse und Stacheldrahtzäune. Wenn sie sich unter dem roten Signallicht bei Dauerlärm zu Feuermaschine formieren und Kohlehaufen von einer Seite der Tische auf die andere schichten, wird ihr Schicksal nachfühlbar. Ihre rußverschmierten Gesichter, ihre dreckversehrte Kleidung, ihr stetig fließender Schweiß – mit einfachen Mitteln macht Weyde ihr Leid deutlich.
A Capella-Gesänge, mit Beatboxrythmen unterlegt, sorgen für mit leichter Hand erzeugte Atmosphäre. Mit vollem Körpereinsatz nehmen die vier Schauspieler gefangen. Vor der Pause noch mit slapstickhaften Einlagen, die die Absurdität der Bürokratie auf die Schippe nehmen sollen. Dies trifft im zweiten Teil auf den bitteren Ernst des Höllenlebens auf dem Totenschiff, dessen Fallhöhe allerdings durch eine Pause gemildert wurde. Die Zusammenstellung einer starken Darstellertruppe, gekonnte Bewegungschoreographie, tolles Timing und geschickter Musikeinsatz demonstriert eindrucksvoll das Talent von Clara Weyde. Den Namen wird man sich merken müssen.
Birgit Schmalmack vom 18.1.16