Flametti, Lichthof
Leben am Rande des Bankrotts
Neun Franken Gewinn, das rechnet Flametti (Florian Brandhorst) am Ende des letzten Gastspiel seiner Variete-Truppe aus. Kunst rechnet sich nicht, Künstler sein ebenso wenig. Dennoch will Flametti zusammen mit seiner Ehefrau Jenny (Susanne Pollmeier) nichts anderes machen. Immer wieder reisen sie von einer Stadt zur nächsten, um erneut auf einer anderen Bühne zu stehen. Dabei gibt es neben der misslichen finanziellen Ausstattung noch genügend andere Probleme zu lösen. Immer neue Streitigkeiten und Eifersüchteleien zwischen den angeheuerten Künstlern der Truppe oder neue Affären Flamettis mit süßen Lehrmädchen (Sara-Maria Reifenscheid) schmälern das Vergnügen am Künstler-Leben.
Das pralle Theaterleben am Rande des wirtschaftlichen Ruins schildert der Roman Hugo Balls "Flametti". Regisseur Gero Vierhuff lässt dieses Variete-Leben mitten zwischen den Zuschauern, die zum Teil an Tischen mit auf der Bühne (Marcel Weinand) sitzen, entstehen. In Kostümen des vorherigen Jahrhunderts lavieren sich die Mitglieder des Ensembles durch ihr prekäres Dasein. Sie proben, reisen, essen und streiten direkt vor den Zuschauern. Auch Teile des Variete-Programm (Musik: Eva Engelbach) werden auf dem erhöhten Bühnenpodest im Lichthof dargeboten: das Jodler-Trio der Familie Häsli (Maureen Havlena, Tom Pidde, Maribel Dente), das Entfesselungsprogramm von Engel (Johannes Nehlsen) oder ein Chanson der Soubrette Laura (Veronika Hertlein).
Hugo Ball gilt als der Begründer des Dada-Theater in Zürich vor gut hundert Jahren. Vierhuff lässt das an einer Stelle erahnen. Beim Gastspiel im Züricher "Krokodil" zeigt er statt des zuvor geprobten Musicals "Indianer" ein spannendes, skurriles Maskenspiel mit Dada-Texten. Es bleibt leider nur ein unkommentiertes, kurzes Zwischenspiel. Eventuelle Erwartungen an die angekündigte Dada-Revue nach Hugo Ball wurden so nur in Ansätzen erfüllt. Die detaillierte Darstellung des beschwerlichen, uninspirierenden Variete-Alltags bleibt ansonsten sehr dicht am Roman. Der Abend versucht zwischen Klischee und Realitätsnähe zu balancieren. Die maskenhafte Schminke rückt die Künstler in die Distanz, die Bühne lässt sie ganz nah kommen. Es wird deutlich: Künstlerdasein war auch schon vor hundert Jahren häufig ein Selbstausbeutungsprojekt.
Birgit Schmalmack vom 8.11.16