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Rimini Protokoll, Situation Rooms

Situation Rooms by Jörg Baumann

Perspektivwechsel

Im Verlauf dieser Reise durch die Räume, die in der Kampnagelhalle aufgebaut sind, wird jeder einmal zu einem Waffenhändler, zu einem Friedenaktivisten oder zu einem Arzt ohne Grenzen werden. So sitzt man mal einmal am Konferenztisch, an dem über neue Panzerlieferungen verhandelt wird. Mal liegt man als Patient in dem brütend heißen Operationscontainer auf dem OP-Tisch. Mal nimmt man am Mikro der Radiostation in Sudan Platz, die junge Leute zum Abgeben der Waffen auffordert. Mal sitzt man neben dem Drogenhändler, der die Gräber seiner getöteten Rivalen besucht. Mal ist man der Bankenchef in seinem Bürosessel, der den Argumenten der Anti-Waffen-Aktivistin Paroli bieten muss.
Jeder Raum bietet neue Lebensgeschichten, aus dessen Sicht der Besucher seine Umwelt für kurze Zeit wahrnehmen muss. Denn er blickt auf seinem I-Pad, der ihn gleichzeitig durch die Räume navigiert, aus der Perspektive der Erzählenden auf die Geschäfte, die mit dem Krieg geführt werden. Jede der insgesamt zehn Geschichten lässt ihn eine neue Sicht einnehmen.
Der Kriegsreporter weiht ihn ganz pragmatisch im Schnelldurchlauf in die Vorsichtsmaßnahmen seines Berufsalltags ein. Der Bundeswehroffizier preist die Vorzüge des deutschen Exportsschlagers Leopold II. Der Zeitarbeiter, der per Joystick in seiner engen Kabine Leute im Auftrag der USA tötet, erzählt von seinem Feierabendtreffen mit seiner Frau. Und der Arzt ohne Grenzen erzählt von seinen Alpträumen nach seiner Rückkehr nach Deutschland.
Jeder Raum ist bis ins letzte Detail, die Temperatur, den Windhauch, die Waffenprospekte, die Uhrzeiten und die Andenken auf dem Schreibtisch gestaltet. Die kurzfristigen Begegnungen mit den anderen Besuchern sind genau aufeinander abgestimmt. Man schüttelt sich anweisungsgemäß die Hand, man hilft sich aus dem schusssicheren Mantel und öffnet dem anderen die Tür. Ein technisch perfekt ausgefeilter Abend, der die Kriegsgeschäfte sehr dicht an die Besucher und Betrachter heranholt und niemanden ungerührt lassen kann.
Birgit Schmalmack vom 17.8.14