This ain't Africa
Tunesische Selbstbefragung
Hafiz Dhaou hinterlässt bei Do you believe me im Kampnagel-Foyer eine rote Spur. Aus seinem weißen Hemd rieselt rote Rosenblätter, wenn er sich bewegt. Sie lassen an Blut denken. Doch Dhaou dreht sich unermüdlich weiter. Er tanzt in einer Endlosschleife im Kreis. Er gibt nicht auf. Auch als die Spuren der Erschöpfung immer deutlicher werden, gibt er nicht auf. In Anlehnung an die Tänze der Derwische, bleibt er in seiner Fokussierung klar. Er dreht sich, lächelt wie in Trance, springt kurz in die Luft und dreht sich weiter. Er hängt sich mit dem Nacken und den Füßen nach oben kopfüber auf die Tische und reckt dennoch den Siegesarm nach oben. Dann öffnet er die Tür zur Kampnagelhalle K2. In Toi et moi erkunden zwei Tänzer, wie es weitergehen könnte. Sie untersuchen die Beschränkungen und Möglichkeiten ihres eigenen Organismus. Sie rollen sich wie Zeitlupe über den Boden, jeder Muskel, wickeln sie einzeln ab. Kein Blick gönnen sie dem anderen. Gan z mit sich selbst sind sie beschäftigt. Die Kehle nach oben gestreckt, kein Blick nach vorne gerichtet, so bitet sich Stephane Pignon ungeschützt dar. Amala Dianor dagegen blickt den Zuschauer direkt an und wirft imaginäre Steine. Viel Zeit vergeht, bis die beiden den ersten Blickkontakt wagen. Welche Möglichkeiten der Begegnung gibt es nach allem, was bisher passiert ist? Auch das versuchen sie herauszufinden. Die Choreographie von Hafiz Dhaou und Aicha M’Barek aus Tunesien erzählt in eindringlichen Bildern und mit enormen Körperbeherrschung von einer Zeit des Umbruchs, der Unsicherheit und des Suchens nach neuen Wegen.
Der quer über die Bühne gespannte Drahtzaun spricht von Grenzen. Davor liegt eine Frau. Um ihr Handgelenk trägt sie einen aufgewickelten Silberdraht. Was zuerst wie ein Schmuck aussieht, wird im Laufe des Stückes zu einem Mittel der Einschränkung, der Einengung, der Kasteiung, der Bestrafung. Sie schnürt sich mit diesem Draht die Beine, die Arme und ihr Gesicht ab. Sie wickelt es um ihre beiden Füße und kann nur noch trippeln. Doch der Tribut an ihre Weiblichkeit ist noch nicht hoch genug. Sie streift sich die Stöckelschuhe über und die Verletzungsgefahr steigt. Sie schwankt, sie knickt um, sie droht zu fallen. Beindruckende Bilder findet die Tänzerin Oumaima Manai in ihrer Choreographie Nitt 100 Limites für die Beschränkungen, die sich die Frau ausgesetzt fühlt. Gerade weil sie in dieser Arbeit von ihr selbst umgesetzt werden, lässt sie gedanklichen Raum über die mögliche Selbstbeschneidung, die frau im vorauseilenden Gehorsam der Gesellschaft bietet.
Chouk ou Yasmin dagegen arbeitet mit sehr viel einfacheren und eindeutigeren Bildern. Auf einem Rosenbett liegt eine Frau (Nour Mzoughi) mit wallenden Haaren. Ein Mann(Hamdi Dridi) nur mit einem Slip bekleidet betritt ihren abgezirkelten weißen Raum. Der Kampf der Geschlechter beginnt. Begehren, Sehnsüchte, Machtgier, Aufbegehren, Vereinigung, Abkehr – alles wird zu aufwühlender Musik vom Band erzählt. Die Gefühle kochen hoch und in großen Gesten finden sie ihre Entsprechung. Am Ende liegt der Mann auf dem Boden und die Frau umschreitet ihn in Siegerpose. Bei der Arbeit von fehlten die Brüche und Zwischentöne, um sie wirklich interessant und vielschichtig zu machen.
Birgit Schmalmack vom 14.4.14