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Genesis


Der Testlauf des Lebens

Unser Leben ist ein ständiger Testfall. Fortwährend werden die Menschen in kleine Testcubes gesteckt und begutachtet. Stimmen die Leistungen noch? Ist die Performance in Ordnung? Ist die Wirkung noch ausreichend? Doch die gegenseitige Begutachtung lässt vereinsamen. Statt des gemeinsamen Tuns steht die Bewertung des Anderen im Mittelpunkt. Einsortiert werden die Menschen, ihr Äußeres und ihre Handlungen. Dazu werden die Glaskuben in eine Reihe geschoben. Wie eine Jury platzieren sich die Übrigen hinter den Glaswänden und beobachten genau den Vortragenden, die sich auf der Bühne um einen guten Auftritt müht. Doch dann steigt einer nach dem anderen aus, entledigt sich seines weißen Wissenschaftlerkittels und fügt sich in die Bewegungen des Tanzenden mit ein. Ein fließendes Ganzes können sie dann kurzfristig werden, bis sie wieder zu den Getesteten vereinzeln.
Doch die Rollen sind nicht festgelegt. Mal werden sie getestet, mal sind sie die Bewertenden. So wird einer der Tänzer im Krankenhaushemdchen auf den OP-Tisch gelegt und ein anderer im Arztkittel befördert ihn wie eine Marionette an Fäden in immer neue Positionen, scheinbar ohne sein Zutun.
In seiner jüngsten Arbeit "Genesis" beschäftigt Sidi Larbi Cherkaoui auch mit dem ersten Testfall der Menschheitsgeschichte, bei dem Gott Adam und Eva aus dem Paradies aussortierte. Hierfür hat er mit der chinesischen Tänzerin und Choreographin Yabin Wang zusammen gearbeitet, die auch mittanzt. So kommen zu dem Tanzvokabular des belgischen Choreographen fließende, weitgreifende Bewegungselemente, die die Ausdruckskraft seiner Tänzer um eine weibliche Sanftheit bereichern. Dies erzeugte eine Emotionalität, die Cherkaoui sonst selten erlaubte. Dadurch wirkte diese Arbeit weniger kantig, eingängiger, weichgespülter und nicht so enervierend wie seine vorherigen, an denen man sich mehr reiben konnte und musste.
Birgit Schmalmack vom 27.1.14

ZUr Kritik von

NDR 
Weser-Kurier 
Abendblatt