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Dem Weggehen zugewandt

Dem Weggehen zugewandt von Union Universal



Abschiednehmen

Altwerden heißt das Verlieren, das Vergessen und das Weggehen jeden Tag zu üben. Irm Hermann erzählt auf Kampnagel inmitten eines 60-köpfigen Kreises von singenden Senioren mit den Worten Ilse Helbichs Worten davon.
Was bleibt sind die Erinnerungen, die kann einem keiner nehmen, behauptet jedenfalls die Frau im braunen Blumenrock. Die andere, in der großgemusterter weiten Tunika, würde manches in ihrem Leben lieber vergessen, doch sie weiß: Um mit ihren Erfahrungen abzuschließen zu können, müsste sie sich erstmal genau an sie erinnern können. Mit Hilfe einzelner Töne und Klangpassagen, die aus dem heruntergelassenen Lautsprecher kommen, versucht sie sich mit ihrer Vergangenheit zu versöhnen. Die Frau in der lila Strickjacke erinnert sich gerne an einen Schlager. Der wurde immer auf dem Campingplatz gespielt, den sie jedes Jahr mit ihrem Mann besuchte. Als er vom Chor der Alten und dem Solistenensemble Kaleidoskop interpretiert wird, wird ihr schmerzhaft bewusst, wie viel Schönes nun nur noch als Erinnerung bleiben wird. Um Fassung ringend steht sie vor dem Publikum.
Immer wieder sind es Musikstücke oder auch ihre Bruchteile, die die Erinnerung an Gelebtes wieder lebendig werden lassen. Dann erreichen die einzelnen Alten auf der Bühne wieder eine jugendliche Lebendigkeit, die ihnen in der großen Menge der Alten abhanden gekommen ist. Der einzige Mann (Manfred Andrae), der als in ihrer Mitte Schauspieler steht, bleibt stumm. Mit zitterigen Parkinsonschritten schlurft er den ganzen Abend wie ein geistesabwesender Wiedergänger über die Bühne und kann nur ein mühsames Summen hervorbringen. Erst ganz am Schuss stimmt er das Lied „Rosemarie“ mit kräftiger Stimme an. Da sind alle anderen schon aus dem Leben und der Kampnagelhalle verschwunden.
Regisseurin Maria Magdalena Ludewig hatte für "Dem Weggehen zugewandt" einen 60-köpfigen Chor in Hamburg zusammengestellt. Das Ensemble Kaleidoskop aus Berlin spielt ihre Streichinstrumente mitten unter den Darstellern auf der Bühne. Wie Erinnerungsfetzen setzen sich ihre Töne, Klänge und Phrasen gekonnt zu Klangkonstrukten zusammen, die mal Erkennbares und mal Neues entstehen lassen. Auf der Bühne ist eine Choreographie von fahrbaren hölzernen Turnhallenbänken zu sehen. Mit ihnen schieben die Alten und die Jungen sich sitzend zu immer neuen Formationen zusammen. Mal rotieren sie im Kreis, mal formieren sie sich zu zwei langen Sitzreihen, mal reihen sie sich am Rand auf... Aus den Lautsprechern tönen nicht nur musikalische Erinnerungen. Auch Ansagen, die an Durchsagen im Krankenhaus, Warnhinweise auf Packungsbeilagen von Medikamente, Flugsicherungshinweisen und ähnlichen erinnern, tönen aus den Lautsprechern. Ein skurriles Element in einem ansonsten weitgehend ironiefreien Raum. Wenn auch der Schluss versöhnlich stimmen soll: Das Ende des Lebens ist ein schmerzlicher Prozess des Abschiednehmens, das beschönigt dieser Abend nicht.
Birgit Schmalmack vom 20.5.13

Zu Kritik von

dradio