Der Internationale Strafgerichtshof
Stahlschwerer Stoff
„Der IStGH in Den Haag müsste eigentlich AStGH heißen, denn bisher sind nur hier Afrikaner angeklagt worden.“ Alle der fünfzehn Angeklagten stammten aus afrikanischen Ländern. Um Vertikalität wollte sich der Internationale Strafgerichtshof bemühen. Die Kommandeure der Kommandeure wollte man zur Rechenschaft ziehen. Doch einzelne Länder würden eher eine horizontale Aufklärung verlangen, meint der kongolesische Experte. Zu viele verschiedene Volksgruppenvertreter wären in den gegenseitigen Abschlachtungen beteiligt gewesen. Nur wenige von ihnen herauszugreifen würde dem Versuch der Aufklärung nur den Anschein von Willkürlichkeit geben.
Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen untersuchen mit ihrer Kunstform des „Spekulativen Realismus“ die Möglichkeiten der Aufarbeitung von Massenverbrechen. Dass eine weiße Institution hier über Schwarze urteilt, ist ein Aspekt, der direkten Einfluss auf ihre künstlerische und inhaltliche Arbeit hat. Im tänzerischen, intellektuellen und kommunikativen Austausch zwischen Weißen und Schwarzen versuchen sie jeden Eurozentrismus ebenso abzustreifen wie jede Klischeebedienung. Einzig das Klischee der den Schwarzen angeborenen Musikalität, die sich in jeder Bewegung und jedem Satz der Afrikaner äußert, bedienen sie gerne und scheuen sich auch nicht, dabei die Weißen daneben etwas unbeholfen aussehen zu lassen. Die Schwarzen sind bei ihnen die Experten.
Gotta Depri wundert sich, dass Afrikaner stolz darüber seien, dass sie ihre Landsleute hinter Gitter bringen könnten. Eric Parfait Francis Taregue geht noch weiter: Er stellt die moralische Basis eines Strafgerichtshofes der Menschlichkeit grundsätzlich in Frage und gibt zu bedenken, dass hier statt der Versöhnung das Motiv der Rache im Vordergrund stehen würde.
Die unsichere Grundlage eines derartigen Tribunals symbolisiert das Bühnenbild: Ein gutes Dutzend bühnenbreiter, mit Gummi ummantelter Stahlrohre bilden eine äußerst instabile Basis. Bei der kleinsten Bewegung gerät alles ins Rollen, was gerade noch als zuverlässig begehbar galt. „Der Strafgerichtshof“ ist eine Arbeit, die sehr textlastig daherkommt. Die tänzerischen Elemente stehen diesmal nicht im Mittelpunkt sondern haben rein dienende Funktion. Sie stellen klar strukturierte, dem rechten Winkel untergeordnete, langsame und lautlose Formen neben die energiegeladenen, schnellen und kraftvollen Körpergesten, die jedes Sprechen untermalen. Eine anstrengende, aber spannende und intensive Inszenierung, die als Gastspiel des Theaterbremen nach Kampnagel kam.
Birgit Schmalmack vom 17.11.12