"Elena´s Aria", Anne Teresa de Keersmaeker
Einstürzende Fassaden
Ein Klassiker des zeitgenössischen Tanzes wurde wieder aufgeführt: Anne Teresa de Keersmaeker hatte "Elena´s Aria" mit fünf der ROSAs aus dem Jahr 1984 rekonstruiert. In enge Partykleider und hohe Tanzschuhe gezwängt versuchen die Frauen (De Keersmaeker, Fumiyo Ikeda, Nadine Ganase, Cynthia Loemij, Tale Dolven) eine gute Figur zu machen. Doch meist sind sie zum Warten verurteilt. Auf den zahlreichen Stühlen harren sie der Dinge, die eventuell kommen werden. Eine aktive Rolle scheint für sie nicht vorgesehen zu sein. So lassen sie sich vom tosenden Ventilator genauso durch die Gegend pusten wie von den stets abwesenden Männern. Denn genau für diese begeben sie sich in diese Warteposition. Davon zeugen jedenfalls die Texte, die die Tänzerinnen auf dem Stuhl am Rande unter der Leselampe vortragen. Ob von Tolstoi, Brecht oder Dostojewski - immer wird von einem abwesenden Mann berichtet, der die Sehnsuchtsrate in die Höhe treibt.
Wie zierliche Störche staksen die Frauen in ihren engen Kleidern über die Bühne, immer in dem vorgezeichneten Bahnen des Kreises auf dem Boden oder rollen sich von einem Stuhl zum nächsten. Die Arien, die wie von ferne die Sehnsucht der Frauen anheizen, sind ebenso aus einer anderen Zeit wie die vorgezeichneten Aktionsradien. So wie die Gebäude in den gezeigten Super8-Filmen einstürzen, so erlauben sich auch die Frauen immer mehr ihre Erschöpfung zu zeigen und sich auf den Boden fallen zu lassen.
Diese frühe Choreographie von de Keersmaeker bedient sich reichlich aus dem Stilmittel der Wiederholung. Das erwies sich für viele Zuschauer in der großen Halle K6 als so ermüdend, dass sie den Saal vorzeitig und laut knirschend über die Holztribüne verließen. Es gibt auch schön anzusehende Tanzsequenzen, die in ihren spannungsreichen Momenten einen Flow entwickeln können. Doch er schien sich eher auf die Tänzerinnen, die ganz in der in ihrer geschlossenen Bewegungswelt gefangen waren, als auf die Zuschauer übertragen zu haben. Erst die letzte Szene schafft die Verbindung ins Jetzt. Als sich die Fünf in einer Reihe direkt vor der ersten Zuschauerreihe setzen, vollführen sie keine gekünstelten Bewegungen mehr, sondern lassen ihre Fassade einstürzen und zeigen in Alltagsbewegungen, wie ihnen wirklich zu Mute ist. Ein sehr ehrlicher Moment und eigentlich der berührendste.
Birgit Schmalmack vom 22.8.12
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