SOMETHING (out of nothing), Kampnagel
Schöne Dystopie
Erst wenn wir Angst haben, handeln wir, erkennt die Stimme aus dem Off. Und sie habe Angst, vor der Luft, vor dem Boden, vor dem Wasser. Die Stimme erzählt von einer Welt, in der weiteres menschliches Leben unmöglich scheint. Gleichzeitig sprießen riesengroße Pflanzen mit überdimensionierten Blüten von der Decke. Mutationen? Dazu kratzt die Cellistin Töne aus ihrem Instrument.
Danach ist es plötzlich still und vier schwarze Gestalten (Sophia Dinkel, Ula Sickle, Mark Lorimer und Edward Lloyd) betreten die Bühne, zwei im Kleid, zwei im Anzug. Unsicher, verlegen und ungelenk versuchen sie ihren Platz auf der Bühne zu finden. Es gelingt ihnen nur unzureichend. Diese drei Elemente wechseln sich in der Choreographie von Kris Verdonck ein paar Mal ab, bis die Gestalten in der letzten Szene erst den Pflanzen aufmerksam zuschauen, wie sie immer mehr Platz einnehmen, um danach selbst mit Hilfe einer Blüten-Maske zu einer Pflanze zu werden.
Verdonck lässt die Menschen in seiner Dystopie, die die Zerstörung der Erde durch die Menschen konstatiert, zu einem Teil der Botanik mutieren. Ihre einzige Weiterlebenschance besteht darin, dass sie ihr Menschsein aufgeben und selbst zu einem Teil der Natur werden. So liefert Verdonck Bilder zur Umwelt-Katastrophe, die aber weder düster noch hässlich daherkommen. Die Natur erobert sich auf ihre Weise ihren Raum zurück. Sie erweist sich als stärker als die Menschen. Doch die Schönheit ist trügerisch, davon zeugt das zweiminütige Noise-Inferno, das die Musikerin den Zuhörern zum Schluss um die Ohren knallt. Das Zerstörungswerk des Menschen trifft ihn selbst in letzter Konsequenz am stärksten.
Eine Inszenierung, die viel bereit hielt: sie erfreute, sie langweilte, sie irritierte, sie nervte und sie regte an,
Birgit Schmalmack vom 20.8.19