Don't trust the border
Wimmelbilder der Grenzüberschreitungen
Die Grenze zwischen Publikum und Tänzer ist klar definiert. Halbtransparente Vorhänge trennen beide Parteien auf vier Seiten voneinander. Immer wieder werden sie für kurze Zeit beiseite gezogen, so dass neue Einblicke auf die Bühne möglich sind.
Viele einzelne Mosaikstücke hat Jessica Nupen für ihre Tanzperformance "Don't trust the border" zusammen geschnitten. Oft überlappen sich die einzelnen Teile, finden parallel auf der Bühne statt. So entstehen Wimmelbilder von Grenzziehungen zwischen den Geschlechtern, zwischen Arm und Reich, zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Europa und Afrika und zwischen ihrem Verwischen und ihrer Überschreitung.
Ganz zu Beginn gibt es eine Prozession. Vier bunt gekleidete Träger mit Masken schreiten zu einem afrikanischen Lied mit einem Sarg um das Bühnenviereck. Währenddessen müht sich eine Frau hinter den Gazevorhängen mit riesigen Mülltüten voller grüner Plastiktüten ab, die sie mit ihrer eigenen Atemluft aufbläst und zu Ballons verknotet. Am Rande steht eine Schiedsrichtertreppe, die ein Tänzer in der roten Badehose formvollendet besteigt, um das Geschehen von oben zu überwachen.
Zwei Tänzer spannen ein flexibles Tuch zwischen sich und lassen die anderen Tänzer an dieser Grenze immer wieder abprallen. Mit Schwung werden diese auf ihre ursprüngliche Seite zurückgeworfen. Doch schafft es einer hindurchzuschlüpfen, findet er sich getrennt von den übrigen vor. Manch einer wird wieder eingefangen von den Grenzziehern und mit einer geschickten Umwicklung festgesetzt. Nun ist ihr Bewegungsspielraum noch kleiner als zuvor.
Nicht alle Bilder waren so klar wie dieses. Oft schien auch die Ästhetik im Vordergrund zustehen. Wenn z.B. der gut gebaute Tänzer aus Südafrika nur mit einer rotem Slip bekleidet einmal um die Bühne stolziert, um die Vorhänge auf- oder zuzuziehen. Oder die Tänzerinnen nur in weißer Unterwäsche bekleidet zwischen den Reihen der Zuschauer hindurchtanzen, zum Greifen nah.
Im Handumdrehen wird aus dem Pappsarg der Prozession eine Badewanne, in die einer der Performer steigt und ganz untertaucht. Ein Mann trägt eine Matratze herein, die zur Grenze, zum Schlauchboot oder zur Ruhestation werden kann. So spielen die Performer auf der Bühne in einem kreativen, immer wieder die Wahrnehmungsgrenzen verwischenden Prozess mit den Materialien. Auf die Vorhänge werden währenddessen aufwändige Projektionen von Mustern, Skeletten und Zeichnungen projiziert. Mal gibt es lebensfrohe tanzbare Beats, mal getragene klassische Musik wie das „Laudate Dominum“ von Mozart und mal völlige Stille.
Jessica Nupen benutzt für ihre etwas über einstündige Performance so viele kreative Ansätze, dass einem vom Zusehen schwindlig werden kann. Es eher ein Zuviel als Zuwenig geworden, das Jessica Nupen an diesem Abend anbietet. Jeder wird etwas anderes gesehen und verstanden haben. So verschiebt sie geschickt immer wieder die Grenzen zwischen zwischen Sehen und Übersehen, zwischen Verstehen und Unverständnis und verzichtet bewusst auf einen klaren Fokus.
Birgit Schmalmack vom 25.1.18
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