Sun, Kampnagel
Licht und Schatten
Ihr werdet uns nicht kriegen. In diesem Imperium verbergen wir uns um zu sagen, was zu sagen ist, so kündigt eine dunkle Stimme Unheil verkündend. Doch die Tänzer auf der Bühne verbreiten eine ganz andere Stimmung. Sie lassen sich von dem Rhythmus der Dudelsackklänge, der Beethovenmusik und der elektronischen Beats in einen heiteren gemeinschaftlichen Volkstanz schaukeln. Die Bewegungen sind ihnen wohl vertraut. Jeder ihrer Schritte ist erprobt und geben das Gefühl einer Gemeinschaft, die trägt. Ihre Kleidung lässt sich keiner Epoche zuordnen. Höfische große Kragen, Kniebundhosen, seidige Stoffe, Comedia-del-Arte-Kostüme zeugen von Zitaten aus vielen Kulturzeitaltern der Zivilisation. Hier ist man geübt in der großen Kultur, sowohl in der Musik, dem Tanz und der Kleidung. Und doch gibt es immer wieder Störfeuer. Dann wird die Musik zu einem Krach, dem man nicht entkommen kann. Gewalt bricht sich seine Bahn, meist symbolisch, manchmal in direkten Prügelattacken.
Schwarz-Weiß-Bilder deuten auf klare Feindvorstellungen hin. Weiße Schafe treffen auf den schwarzen Wolf. Ein schwarzer Eingeborener trifft auf den weißen Kolonialherren. Ein weißer Anzugträger stellt sich neben einen dunkler Hoodieträger, der sein Gesicht verbirgt. Wie die eintrainierten Traditionen helfen auch die einfachen Bilder bei der klaren Einsortierung. Wieder kündet die düstere Stimme vom Beginn: "Wir wissen genau, was zu sagen ist."
Zum Schluss macht der Choreograph Hofesh Shechter die These von "Sun" unmissverständlich deutlich. Die Stimme aus dem Off schleudert dem Publikum der vollbesetzten Kampnagelhalle entgegen: Eure vermeintliche Zivilisation ist auf dem Blut der vermeintlich Anderen aufgebaut. Euer scheinbares Eintreten für die Einhaltung von Menschenrechte ist ein Lügenshow, aufgeführt nur zur eigenen Beruhigung. "Und jetzt bekommt ihr euer fucking Happy End!" Die Tänzer fallen wieder in ihren wunderschön beruhigenden Schunkelrhythmus. Alles ist glatt und schön wie immer. Die Welt ist in ihre Ordnung zurückgekehrt: Wir sind die Guten, die anderen sind die Bösen.
Birgit Schmalmack vom 14.3.16