Schiff der Träume

Schiff der Träume Foto: Matthias Horn

Begegnung auf Augenhöhe

Das Werk „Human Rights Nr. 4“ soll zu Ehren des verstorbenen Maestros Wolfgang gegeben werden, und zwar auf hoher See in der Ägäis, während seine Asche ins Meer verstreut wird. Wolfgangs „Klangkörper“ hat sich an Bord des noblen Kreuzfahrtschiffes versammelt, in einem bühnenhohen, offenen Wohnregal ihre Kabinen bezogen und ergeht sich aus purer Langeweile, plötzlicher Konfrontation mit dem Tod und Ängsten angesichts der ungewissen beruflichen Zukunft in gegenseitigen Zickereien, philosophischen, kulturbeflissenen Weisheiten und Schikanieren des Personals. Speziell die stotternde Kellnerin „Aschtrid“ (Lina Beckmann) brauchen sie, um ihre eigene Überlegenheit zu demonstrieren. Das Niveau der Witze sinkt drastisch mit der Dauer der Fahrt und Anstieg des Rotweinpegels. So suhlt man sich im ersten Drittel des Abends im Luxus der eigenen Überlegenheit; wobei en passant schon der Abgesang auf die eigene Art durchschimmert.
Dann plötzlich wird ihre „Feier“ der vermeintlichen westlichen Erhabenheit gestört: Ein Flüchtlingsboot ist gekentert und der Kapitän hat die Insassen an Bord geholt. Eigentlich sollen sie aufs Unterdeck verfrachtet werden, doch einige von ihnen wagen sich zu den europäischen Künstlern aufs Oberdeck. So wird deren Singen und Reden von Gleichheit, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit jäh auf die Realitätsprobe gestellt.
Intendantin und Regisseurin Karin Beier wollte die Fehler anderer Häuser vermeiden, die politisch engagiertes Theater so mit sich bringt. Sie holt für die Erhöhung der Authentizität keine Flüchtlinge direkt von der Straße auf die Bühne; sie mischt unter die deutschen Schauspieler afrikanische Bühnenprofis (wie Gotta Depri, der aus den Performances von Gintersdorfer/Klaßen bekannt ist). Als erfahrene Tänzer und Performer zeigen sie souverän, was sie draufhaben. Eine Mitleidsnummer für die armen Flüchtlinge wird hier also nicht gegeben.
Talentproben ihres Könnens fluten die Bühne, die die deutschen Schauspieler fluchtartig verlassen haben. Die Afrikaner stellen klar: „Wir sind gekommen um zu helfen.“ Ihr Talent, ihre Jugend, ihre Fröhlichkeit und ihre Potenz stellen sie den überalterten, verknöcherten Deutschen gerne zur Verfügung.
Ein Vortrag über „Aussterbende Arten“ belegt dies nach der Pause. Damit sind selbstredend die Deutschen gemeint. Zaghafte Annäherungen fuhren zu gemeinsamen Tanzübungen: Da lernt man Paartanz, Hiphop, Salsa und afrikanische Tanzschritte. Rührend! Gut dass nach einer Explosion die Kellnerin Astrid die Bühne betritt und nun plötzlich völlig stotterfrei die Show für beendet erklärt: Diese völlig degenerierte Gesellschaft müsse einfach untergehen. Das Kabinenregal kippt zur Seite und fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Kein Klischee wird in dem Testsammelsurium ausgehend von dem Film „Fellinis Schiff der Träume“ ausgelassen, nach allen Seiten wird ausgeteilt. So dauert der Abend dreieinhalb Stunden lang, um möglichst korrekt und ausgewogen zu sein. Man verlässt das Theater völlig überfüttert an Bildern, Gags, Anekdoten und Fragen, doch leider ohne einen klaren Gedanken. Überforderung und Ratlosigkeit ist das Gefühl, das sich einstellt. Auch die darüber: Was sollte dieser Abend zeigen? Er selbst gibt darauf keine Antwort. Vielleicht beschlichen Beier am Ende ihres eigenen Regieunterfangens selbst gewisse Zweifel: Warum hätte sie sich ansonsten noch ein weiteres Hintertürchen geschaffen, indem sie den Abend von Astrid als „Teil 1 eines Integrationskurses“ titulieren ließ?
Birgit Schmalmack vom 27.12.15