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Weltklimakonferenz, DSH

Ab sofort vertreten Sie Ruanda!

Die Eintrittskarte ist gleichzeitig eine neue Identität. Ab sofort ist der Zuschauer zum diplomatischen Vertreter eines der 196 Länder geworden, die eingeladen sind zur „Weltklimakonferenz“ in Hamburg. Sie findet dieses Mal nicht in einem Fußballstadion, in dem 20000 Teilnehmer Platz finden können, sondern im Deutschen Schauspielhaus statt. Das Live-Rollenspiel haben sich Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel von „Rimini Protokoll“ ausgedacht. Jeder der Zuschauer hat seine Rolle mit seinem Platz unter seiner Landesflagge eingenommen. Um wenigstens mit den Grundkenntnissen vertraut zu sein, hat jeder ein Booklet ausgehändigt bekommen, in dem er die wichtigsten Daten seines Landes wie Bruttoinlandsprodukt, Ressourcenverbrauch, Co2-Ausstoß und bisherige Klimaschutzaktivitäten nachschlagen kann.
Durch ein fein getacktetes Programm dürfen sich die Uraufführungsteilnehmer wie richtige Konferenzteilnehmer fühlen. Ein Treffen, ein Briefing, ein Vortrag jagt den nächsten. Immer heißt es den nächsten Raum zu finden, neue Informationen aufzunehmen, sich auf die Mitdiskutanten einzustellen und zu einer eigenen Haltung zu finden. Viele Experten sind auf dem Podium angetreten, um ihre Positionen aus den verschiedenen Erdteilen zur Weltklimapolitik zu erläutern. Denn dieses Mal soll es kein Scheitern der Konferenz wie 2009 in Kopenhagen geben, als sich die Staaten auf keine gemeinsamen Maßnahmen einigen konnten. Die Konferenz in Paris 2015 muss ein Erfolg werden. Sonst werden Dürre und Wasserknappheit oder Gletscherschmelze und Überschwemmungen zu verheerenden Katastrophen auf der Welt führen, die die Ungleichheit und die Konflikte noch weiter verschärfen werden.
In verschiedenen Räumen bekommt der Zuschauer ein Gefühl für die drohenden Veränderungen. Unter einer brennenden Scheinwerfersonne wird die Dürre erlebbar. In der Eiswüste im Rangfoyer wird auf die Veränderungen in der Antarktis hingewiesen. Im Marmorsaal sind Ficus- und Palmentopfpflanzen die Vertreter eines schwindenden Regenwalds. Eine Fahrt mit dem Bus durch die gefährlichen Gebiete des Nahen Ostens – in diesem Fall die ärmlichen, multikurellen Gebiete der Straßen rund um den Hauptbahnhof – weist auf andere Erlebniswelten hin. Denn am Ende sollen die eigenen Beiträge zur Errichtung des ausgeschriebenen Zwei Grad Limits verkündigt werden. Werden sie ausreichen, um die Folgen der Klimaveränderung noch in den Griff zu bekommen? Oder werden besonders die ärmeren Staaten die Folgen zu spüren bekommen, die die Industriestaaten mit ihrem ungebremsten Wachstum verursacht haben?
Natürlich konnte Rimini Protokoll in diesem engen Rahmen von knapp drei Stunden die komplexen Problemlagen nur anreißen. Doch durch die Form des Rollenspiels, das den Zuschauern einen Perspektivwechsel zumutet, wird ein Einfühlen möglich, dass sie die kommenden Einwicklungen, Diskussionen und Entscheidungen bei den realen Klimakonferenzen sicherlich mit wesentlich mehr Interesse und persönlicher Anteilnahme verfolgen lassen wird.
Birgit Schmalmack vom 24.11.14