Malala – Mädchen mit Buch
Ringen um die richtigen Worte
Die Schriftstellerin tippt Seite um Seite und löscht sie alle wieder am Ende des Tages. Banki Moon schenkte ihr zwar den Titel ihrer Geschichte „Mädchen mit Buch“, doch sie findet einfach keinen passenden Zugriff. Ihr fallen zu jedem möglichen Anfang gleich so viele Gegenargumente ein, dass sie die Teebeutel ihres Entspannungstees an die Wand wirft, wo sie schon zu Dutzenden kleben. Wie soll sie als westliche weiße Frau den Kampf eines zwölfjährigen pakistanischen Mädchens unter den Taliban für ihr Recht auf Bildung beschreiben? Wie kann sie politisch korrekt die Verhältnisse darstellen, die sie geprägt haben? In Ermangelung eigener Worte lässt sie Malala schließlich selbst zu Wort kommen. Das Mädchen schrieb einen Blog für die BBC, in dem sie von ihrem Leben, ihren Enttäuschungen und ihren Wünschen berichtete. Mit dem kleinen Abspielgerät, das Ochesenhofer sich um den Hals gehängt hat, lässt sie immer wieder eine Mädchenstimme erklingen, die Bildung für alle - Jungen und Mädchen - fordert. Christiane Ochsenhofer lässt auch ihren Vater, den Schuldirektor, Menschenrechtsaktivisten und Unterstützer seiner Tochter zu Wort kommen. Dann richtet sie sich auf, versucht sich mit einer Brosche einen Schnurrbart anzulegen, verzichtet aber wieder darauf und hält Reden vor den Schulleitern Pakistans, vor seinen Anhängern und vor Fernsehkameras. So wird allmählich doch auf der weißen leeren Bühne, von deren Decke nur lauter Lautsprecher hängen, fast wider Willen die Geschichte Malalas erzählt.
Ochsenhofer schlüpft in alle Rollen. So erschafft sie sich nur mithilfe eines Pfirsichs und eines Schals eine Malala als Gegenüber ihres Vaters. Bis zum Attentat auf Malala verlässt sie sich ganz auf die Bilder, die im Kopf entstehen. Dann flimmern die Fernsehbilder über die weiße Rückwand. Man sieht auch die genesene Malala bei ihrer Rede vor der Jugendversammlung der UN.
Die Selbstzweifel der Autorin werden sie bis zum Ende begleiten. Warum erzählt sie ausgerechnet von diesem Mädchen und nicht von den vielen anderen, die unter Krieg und Gewaltherrschaft leiden? Ist sie auch einem Medienhype aufgesessen? So schließt sie folgerichtig mit dem Satz „Ich weiß es nicht“.
Für ein Jugendstück die Schreibblockade eines erwachsenen Autors zum Zentrum zu machen, ist mutig. Doch sie führt zu einem Kernproblem der medialen Berichterstattung. Wie sehr spiegelt diese auch immer die Prägung des Erzählers wieder? So hat sich Theaterautor Nick Wood dem Kampf des Mädchens Malala auf vielen verschiedenen Ebenen genähert. Sein diskursiver Ansatz steht im direkten Kontrast zu den vereinfachenden Ideologien von Religionsfanatikern. Nur wer diese vermeintliche Schwäche zulässt, kann sie als Stärke erfahren.
Regisseurin Clara Weyde lässt Christine Ochsenhofer in diesem Monolog im Foyer des Jungen Schauspielhauses glänzen. Die wohlmeinende, tolerante, gutmenschelnde, selbstkritische Schriftstellerin nimmt man ihr sofort ab. Weyde belässt das Stück in seinem reflexiven, intellektuellen Kontext und verzichtet auf jugendanbiedernde Mätzchen. In knackigen 65 Minuten lädt es zum Nachdenken nicht nur über islamistische Ideologien sondern auch über den Toleranzbegriff der westlichen Welt und die mediale Berichterstattung ein.
Birgit Schmalmack vom 24.9.14
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