Serotonin, DSH
Abgesang auf den weißen, alten Mann
Gleich vier mal (Jan-Peter Kampwirth, Carlo Ljubek, Tilman Strauß und Samuel Weiss) steht er das, in seinem Bademantel und den weißen Frotteepantoffeln. Eigentlich allzeit bereit und doch so abgeschlafft. Der weiße, mittelalte Mann, der eigentlich in seinen besten Jahren sein sollte und doch merkt, dass seine Anziehungskraft auf Frauen wider Erwarten erheblich nachgelassen hat. Dagegen schluckt er diese kleinen weißen Kapseln, die angeblich die Glückshormone wieder in Wallung bringen sollen. Doch sie haben leider genau die Nebenwirkung, die sein Selbstwertgefühl erst recht in die Frostgrade sinken lässt: Seine Manneskraft, auf die er sich doch so viel einbildete, ist erschlafft. So versinkt er in Selbstmitleid und lässt all seine vergeblichen Versuche eine Frau bei sich zu behalten, Revue passieren.
Falk Richter bezieht in seiner Inszenierung "Serotonin" klare Position zu dem neuesten, gleichnamigen Roman von Houellebecq. Er stellt sich in ironischer Distanz zu diesem überbordenden, selbstmitleidigen Ergüssen eines Mannes in der Midlifecrisis. Das wird nicht nur deutlich durch die Vervierfachung seines Protagonisten sondern auch durch den ständigen Szenenwechsel. Im Gegensatz zum immer gleichen Tonfall der Erinnerungen entfacht er auf der Bühne ein Feuerwerk an poptheatralen Effekten. Irgendwo flimmert stets eine Videoleinwand, rauchen Feuer, fallen Pappkameraden, fahren Bodenkammern aus dem Bühnenboden, verkleiden sich die vier Männer in immer neue Kostüme oder rocken auf der Bühne.
Doch dieser Roman ist mehr als nur der Abgesang auf die "substanzlosen Weicheier", zu denen die alten verunsicherten Männer dieser Welt geworden sind. Der Agrarwissenschaftlers Florent-Claude Labrouste weiß, dass auch die Landwirtschaft im globalisierten Kapitalismus zum Scheitern verurteilt ist. In der Ausbeutung der Natur für die Gewinnmaximierung kommen die Bedürfnisse der Bauern und der Landschaft zu kurz. Das Hofsterben, die Massenstierhaltung, all das ruft zum Aufstand auf. So rauchen bei der Bauerndemo auf der Bühne bald die Rauchbomben.
Ein Höhepunkt der Inszenierung ist die Szene, als die Frauen kurzfristig die Bühne übernehmen. "Die Fotzen sind wieder", rappen die beiden Kommentatorinnen (Sandra Gerling und Josefine Israel), die sich bis dahin dezent von der Loge zu Wort meldeten. Intensiv wird es auch, als Florent sich wehmütig an seine Beziehung zu Camille erinnert und sie dabei in einem pinkfarbenen Puppenhaus auf der Bühne verschwindet. So klein und putzig hätte er sie wohl gerne gehabt.
Richter findet viele tolle Einzel-Bilder. Sein Ideenfeuerwerk unterhält, aber ermüdet auch. So wie Houellebecqs Abgesang vielleicht auch Richter ermüdet hat. Bloß keine Chancen zur Einfühlung aufkommen lassen, scheint Richters Motto zu sein. Er will auf jeden Fall vermeiden, dass Verständnis oder Sympathie mit der Hauptfigur aufkommen könnte. Wenn in der Szene nach der Pause die vier Männer mit überbordenden Körperformen auf der Bühne präsentiert oder in der letzten gar in Affenkostümen auf Primatenstatus zurückgestuft werden, wird klar, dass hier nur noch der Freitod helfen könnte. Doch ob dazu die Kraft des alten, weißen Mannes noch reicht?
Birgit Schmalmack vom 18.9.19