Bluets, Malersaal

Im Labor der Farben und Gefühle



"Angenommen, ich würde beginnen, indem ich sagte, ich hätte mich in eine Farbe verliebt. Angenommen diese Farbe wäre blau."
So beginnt Julia Wieninger als Autorin Meggie Nelson ihre Überlegungen, die sie in 240 kleine Paragraphen gegliedert hat. Mit zartem Klingelton voneinander getrennt, werden sie am Tisch sitzend in eines der vier Mikrophone vorgetragen. Neben ihr sitzen drei Assistenten im blauen Arbeitsanzug und steuern Stichwörter und Visualisierungen bei. In dem Bilderlabor, das auf der Bühne mit allerlei Gerätschaften und Zubehör aufgebaut ist, zaubern sie blaue Bilderwelten auf die Projektionsrückwand. Da brandet das Meer, da weht eine blaue Mülltüte, da reiben sich Hände mit einem riesigen Lapislazuli-Ring in Großaufnahme, da wird ein Tuch mit Indigo gefärbt oder Tinte in ein Wasserbassin gegossen, um blaue Farbwolken zu erzeugen. Eine blaue Teetasse wird geschwenkt, eine Liebesszene in blauem Kipplicht in Szene gesetzt. ein blauer Cocktail angemischt. Eine blaue Plane, die im Wind flattert, gezeigt. Das Blau des Ozeans, des Himmels in allen Schattierung vorgeführt.
Wieninger berichtet von Azyanopsie, der Blaublindheit, Ute Hannig führt das Cyanometer, mit dem sich 53 Blautöne unterscheiden lassen, vor dem projizierten Himmelblau vor. Und wir vernehmen die Songs, die das Blau für immer mit der Melancholie verbanden. Yorck Dippe singt mit blonder Perücke Joni Mitchells „Blue“ und Paul Herwig Leonard Cohens „Famous Blue Raincoat“.
Maggie Nelson berichtet, wie sie im Bücherregal zu einem Buch über das "deepest blue" greift und erst beim Aufschlagen erkennt, dass es um eines über die weibliche Depression handelt. Während Männer den verklärten Blues haben, verfallen Frauen dem tiefen Blau. Nelson ist zunächst empört, muss der These aber dann einen gewissen Wahrheitsgehalt attestieren. Denn auch ihre Liebe zur Farbe Blau ist verknüpft mit einer Phase der größten Einsamkeit: Ihr "Prinz des Blauen" hat sie für eine andere verlassen und ihre Liebes-Sehnsucht läuft ins Leere. Trost findet sie nur in ihrer Liebe zum Blau. "Warum Blau? Wir haben keine Wahl, wen oder was wir lieben."
Regisseurin Katie Mitchell choreographiert aus diesen Texten einen wunderbar poetischen Abend, der in eine meditative Stimmung versetzt. Er ist technisch bis ins kleinste Detail durchkonstruiert und kommt dennoch leicht und schwebend daher. Wenn man danach das Schauspielhaus verlässt, pünktlich zur blauen Stunde, wirkt das Blau des Himmels und der Alster wie ein extra für diesen Zweck perfekt ausgeleuchteter Teil der Inszenierung.
Birgit Schmalmack vom 2.5.19