Zweisam

Zweisam im Hamburger Sprechwerk von Denise Stellmann


Klare Botschaften

Die Prostituierte Anna will kein Mitleid. Sie will auch keine Zuhörerin, die „schockiert“ ist. Sie will ein Gegenüber, mit dem sie sich auf Augenhöhe aussprechen kann. Doch am anderen Ende der Telefonleistung sitzt Saskia, die wohl situierte Ehefrau in ihrem schicken Reihenhaus, die am Telefon ihre seelsorgerischen Dienste anbietet. Sehr sensibel für deren unterschwellige Herablassung schießt sie mit Provokationen zurück: „Dein Mann war sicher auch schon mal bei mir!“ Auch sie ahnt noch nicht, wie sehr sie damit ins Schwarze trifft.
Anna und Saskia, diese beiden Frauen aus unterschiedlichen Welten, wagen eine Begegnung - wenn zunächst auch nur über die sichere Distanz zwischen zwei Telefonen. Immer offener sprechen sie über ihre Lebensvorstellungen, Sehnsüchte und Ängste. Die klar definierten Rollen vom Beginn verschwimmen langsam und Saskia gibt ihre professionelle Distanz allmählich auf. Sie muss erkennen, dass auch sie ihre Gestaltungsmöglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft hat.
Als die zarte, diplomatische Saskia und die burschikose, impulsive Anna endlich die erste direkte Begegnung den Mut zu einer ersten direkten Begegnung finden, haben sich die Ereignisse allerdings bereits so dramatisch zugespitzt, dass es für schon greifbare Happy-End zu spät ist.
Mit nur zwei Darstellerinnen, einer einzigen Bühnenausstattung, stimmungsvoller Musikauswahl und effektvoller Lichtregie wird der filmreife Stoff überaus spannend auf die Bühne des Sprechwerks gebracht. In kurzen Szenen wird die Geschichte von Anna und Saskia erzählt. Die beiden Schauspielerinnen überzeugen: Frances Heller als eine durchsetzungsfähige Einzelkämpferin, die früh lernen musste ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen, und Denise Stellman als angepasste brave wohlerzogene Tochter und Ehefrau, die früh gelernt hat zu funktionieren. Ihr Emanzipationsprozess verläuft von unterschiedlichen Ausgangspunkte auf einen möglichen Treffpunkt zu. Eine beachtliche Leistung für eine freie Produktion! Sie zeigt etwas aus der Mode gekommenes Theater, das keine Befindlichkeiten ausbreiten sondern spannungsgeladene Geschichten erzählen will. Regisseur Stuart Tayler benutzt keine Metaphern, für die die Zuschauer einen Übersetzungskatalog benötigen.
Birgit Schmalmack vom 14.3.12