Touched, Sprechwerk
Berührend
Ihr Name ist Shenna. Sie ist 31. Sie ist Tochter, beste Freundin und sie leidet an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung. Was das bedeutet, zeigt Denise Stellmann in ihrer neuen Produktion "Touched" am Hamburger Sprechwerk.
Welche Auswirkungen es hat, wenn ein Kind in seiner frühkindlichen Phase kein Urvertrauen entwickeln kann, weil dieses durch die ständige Angst des Kindes vor Gewalt und Missbrauch unterbunden wird, führt Ines Nieri als Shenna auf der Bühne drastisch vor Augen. Auch als Erwachsene ist sie trotz jahrelanger Therapie unfähig, ihre Gefühle zu steuern. Alltägliche Situationen sind mit der ständiger Unsicherheit verbunden, dass sie alte Wunden triggern und aufreißen können. Dann ist der Absturz in die Gefühlswelt eines hilflosen, ohnmächtigen Kleinkindes vorprogrammiert. Sie reagiert in diesen Fällen als kleines Kind und nicht als Erwachsene, die sie eigentlich ist. Die Aufarbeitung eines frühkindlichen Trauma ist nur schwer möglich, denn es ist der Erinnerung verschlossen, da es sich vollzog, bevor das Erinnerungsvermögen einsetzte. Nur das Unterbewusstsein hat die Gefühle gespeichert und lässt sie jedes Mal ablaufen, wenn die unterbewusste Erfahrung ausgelöst wird.
Denise Stellmann hat auch dieses Mal wieder die Mittel Film und Theater miteinander verbunden. Das gelingt besonders eindrucksvoll, wenn schnelle Schnitte das Blitzlichtgewitter in Shennas Kopf sichtbar machen. Oder wenn sie endlich ihrem kindlichen Ich begegnen kann und auf der Leinwand ein kleines Mädchen zu sehen ist, dem Nieri sich von der Bühne aus nähert. Nicht alle Interviewszenen mit den vielen Freunden von Shenna, die ansonsten zwischen den Szenen eingeblendet werden, haben den gleichen inhaltlichen Mehrwert. Sie sorgen zwar für dramaturgische Abwechselungen, reichen aber nicht an den beeindruckenden Tiefgang der Live-Spielszenen auf der Bühne heran.
Wie Ines Nieri hier mit sich, mit ihren (Nicht-)Erinnerungen, ihren Verarbeitungsstrategien und mit ihrer besten Freundin Tony (Cosma Dujat) um die Hoffnung auf eine Heilung ringt, wirkt berührend echt. Diesem Ringen merkt man Stellmanns sorgsamen, jahrelangen Rechercheprozess zum tatsächlichen Fall und zum Thema in jedem Moment an. Die Produktion fordert nicht nur den beiden tollen Darstellern viel ab sondern auch den Zuschauern. Sie leiden über drei Stunden mit Shenna mit. Bis zum Schluss wissen sie nie mehr als die betroffene Frau selbst. So bleiben bis zum hoffnungsvollen Ende auch die Gründe für ihr Trauma im Unklaren. Ein Abend, der die Anstrengung lohnt.
Birgit Schmalmack vom 26.11.17