Bloody Niggers!, Sprechwerk
Zivilisation, Demokratie, Menschenrechte, dreimal nichts!
.
Der "War on terror" wurde nach dem 11. September ausgerufen. Wer die Terroristen waren, schien allzu klar: Alle Muslime standen pauschal unter Terrorverdacht. Der Islam als Religion wurde verdächtig. Doch macht es sich die Gegenseite nicht allzu einfach? Wie viele Opfer hat eigentlich das Christentum in der Geschichte gefordert? Der französischsprachige, aus Ruanda stammende Autor Dorcy Rugamba macht sich auf die Spurensuche. Akribisch recherchiert er die Zahlen der Toten, die der christliche Westen, der sich heutzutage gerne als Friedensbringer inszeniert, im Laufe der Geschichte gefordert hat. Die Ausrottung der Urbevölkerung großer Teile Südamerikas und fast ganz Nordamerikas und die Ansiedelung und Züchtung afrikanischer Sklaven schildert sein Bericht mit erschreckendem Zahlenmaterial und makaberen Details. Die zahlreichen Arten Menschen zu unterdrücken und töten, die sich die Eroberer aus Spanien, Frankreich, Portugal, Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland ausdachten, um ihre Überlegenheit und Macht zu demonstrieren, werden detailgetreu dargestellt. Blutige Leichentücher und abgeschnittene Körperteile liegen auf der Bühne. Zwischen vielen Büchern, aus denen zitiert wird. Denn Intellektuelle aus allen europäischen Ländern untermauerten ihre Taten mit rassistischen Überlegenheitsfantasien. Da tauchen so klingende Namen wie Immanuel Kant, Konrad Lorenz oder Charles Darwin auf, die die Macht der Stärkeren und damit der Weißen postulierten.
Der Theatertext "Bloody Niggers" kennt keine handelnden Rollen; die drei Sprecher sind weniger Spieler als vielmehr Vortragende der langen Liste der Gräueltaten, die bis in die Jetztzeit des Hyperkapitalismus reichen. Am Schluss formen sie sich zu einer geschlossenen Reihe der Ankläger. "Wir glauben euch nicht mehr!", schreien sie dem Publikum entgegen. Freund und Feind sind klar abgegrenzt, Opfer und Täter auch.
Sah die Regieanweisung des Autors eigentlich einen fortwährenden kompetativen Wettstreit zwischen den drei Sprechern vor, so trägt bei der Hamburger deutschen Erstaufführung unter der Regie von Isabelle McEwen Rana Farahaniden den Hauptanteil des faktenreichen Textes. Ibrahima Sanogo und Muwala-Paulo Lando ergänzen nur und stehen für kleine Spielszenen zur Verfügung. Die gehen selten über eine Bebilderung des Geschilderten hinaus. So nähert sich die Form des Abend eher einem Vortrag als einem Theaterstück an. Nur einmal bricht Ibrahima Sanogo aus dem vorgeschriebenen Text aus und richtet seine Anklage in eigener Sache direkt ans Publikum. "Wer alles kontrollieren will, verliert die Kontrolle über sich", wusste schon seine Mutter. Seine emotionsgeladene Rede gegen die Überheblichkeit des Westens schließt er mit eindeutigen Gesten und einem "Fuck you!"
Ohne Zweifel: Alle diese Fakten müssen heutzutage mehr denn je ausgesprochen, behandelt und diskutiert werden. Sie müssen in das kollektive Wissen Eingang finden und zu einer kritischen Hinterfragung gegenwärtiger Politik führen. Das ist mehr als notwendig, um die Einseitigkeit der heutigen Diskussion im Westen etwas entgegenzusetzen. Eine Umdrehung der Perspektive mag ein erster Schritt sein. Doch bei dieser gespiegelten Einseitigkeit bleibt dieses Stück stehen. Die Fronten sind von Beginn an klar und werden während des Stückes an keiner Stelle aufgebrochen. So stellt sich leider ein Effekt ein, den dieses wichtige Thema nicht verdient hat. Der Zuschauer richtet sich in der über fast drei Stunden dauernden Aufführung in einer langsam verstärkenden Abwehrhaltung ein. Mehr Stellen zum Einfühlen, zum Miterleben und zum Mitleiden, die ihn unwillkürlich aus dieser Trotzhaltung heraus- und in neue Erfahrungen hineingezogen hätten, wären wünschenswert gewesen.
Birgit Schmalmack vom 15.11.16