Iphigenie, EDT

Politisches Theater

Eine reife Leistung legt Thorsten Fischer im Ernst-Deutsch Theater hin. In nur zwei Stunden erzählt er die gesamte Familientragödie des Atridengeschlechts. Karin Beier brauchte dafür im Schauspielhaus immerhin fast sieben Stunden. Fischer bedient sich dabei der entscheidenden Szenen aus insgesamt sechs Stücken von Goethe, Euripides, Aischylos und von Hofmannsthal.
Er folgt dabei der Intention Goethes: Ihm geht darum zu zeigen, dass die Gewaltspirale zu durchbrechen ist und zwar durch der Vernunft, die Macht der Argumentation und der Kraft des Wortes. Das gelingt einer Frau: Iphigenie. So ist es nur schlüssig, dass Fischer in den Blickpunkt seiner Inszenierung Frauen stellt. Alle Rollen sind mit Frauen besetzt, einzig ein männlicher stummer Tänzer darf als Widerpart dienen.
Fischer wagt für das Privattheater viel: Bei ihm sieht man die Ernst Deutsch Theater Bühne zum ersten Mal leer, in strengem Schwarz-Weiß mit einem roten Blutfleck an der Rückwand.
Die Tragödie beginnt. Agamemnon beschließt den Opfertod seiner geliebten Tochter Iphigenie, um sein Kriegsglück zu sichern. Seine Frau schwört Rache und tötet den Ehemann bei seiner Rückkehr. Daraufhin ist für die zweite Tochter Elektra klar, dass ihre Mutter sterben muss. Als Frau darf sie nicht selbst zur Waffe und hofft daher auf die Rückkehr ihres verschollenen Bruders Orest. Endlich kommt dieser und vollstreckt ihren Beschluss. Seine Flucht führt ihn nach Tauris, wo er auf die tot geglaubte Iphigenie trifft, die von der Göttin Diane gerettet wurde und ihr seither auf der Insel dient. Der dortige Herrscher Thoas will Orest aufgrund seiner Tat hinrichten, doch Iphigenie setzt all ihr Verhandlungsgeschick ein, um der Gewalt ein Ende zu setzen. Bei Goethe und somit auch bei Fischer gelingt ihr das. Bei ihnen siegt die Vernunft über die Gewalt.
In seiner Strenge, in seiner Kargheit und Konzentration auf die Frauengestalten überrascht und fasziniert Fischers Inszenierung. Er verlässt auf seine tollen Darstellerinen. Daniela Ziegler überzeugt als eine in ihren Grundfesten erschütterte Frau, die nach ihrer Rachetat vollends den Boden unter den Füßen verliert. Ulli Maier ist eine wortgewaltige, kluge, besonnene und überaus starke Iphigenie. Susanne Bredehöfts Elektra ist eine Powerfrau, die keine Wert auf Konventionen legt. Mit offenen Männerhemd zeigt sie barbusig ihre Verletzlichkeit. Während sie gradlinig ihr Ziel mit aller Kraft verfolgt, verzichtet sie auf jeden Schutzpanzer.
Im ersten Teil ist durch die schnellen Schnitte zwischen den Szenen für Abwechselung in all der Kargheit gesorgt, doch im zweiten Teil setzt Fischer allein auf die Kraft der Goetheschen Worte. Gleichzeitig lässt er auch hier die Rolle des Mannes Thoas von einer Frau sprechen (in der Gestalt „der Erscheinung Klytämnestras“). Das macht die Handlung schwerer verständlich und schwächt somit leider gerade den Teil, auf dessen Aussage Fischer es doch ankommt. Aber das schmälert keinesfalls den Mut des Ernst Deutsch Theaters, mit diesen ungewöhnlichen Inszenierung die Vielfalt in ihrem Programm zu steigern.
Birgit Schmalmack vom 6.5.15

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