Der Fall Furtwängler, EDT
Die Verantwortung der Kunst
Für den amerikanischen Major Steve Arnold (Boris Aljinovic ) ist der Fall von vornherein klar: Jeder Deutsche, der während der Nazi-Zeit nicht geflohen oder in den Widerstand gegangen ist, hat sich schuldig gemacht. Wer dann auch noch als Leiter der Berliner Philharmoniker Repräsentationspflichten übernommen hat, muss ein Täter gewesen sein. So steht für ihn schon, bevor er überhaupt ein einziges Verhör mit dem Dirigenten Dr. Wilhelm Furtwängler (Robin Brosch ) begonnen hat, das Resultat fest: Furtwängler gehört bei den Nürnberger Prozessen auf die Anklagebank und schuldig gesprochen.
Für die Mitarbeiter des Majors, den Offizier David Wills (Daniel Schütter), dessen Eltern durch den Holocaust umgebracht worden sind, und die Sekretärin Emmi Straube (Pia Koch), deren Vater im Widerstand war, sieht die Sache völlig anders aus: Sie bewundern Furtwängler für die Musikwerke, die er geschaffen hat. Immer wieder legen sie Platten, auf denen sein Schaffen dokumentiert ist, auf und versuchen damit den Mayor zu beeindrucken. Doch er ist nach eigener Einschätzung ein kulturloser Banause, der nur eine Aufgabe hat: Die Guten von den Schlechten zu trennen. Für ihn gibt es nur schwarz und weiß, grau existiert nicht.
Auf der Drehbühne rotieren Unmengen an Bauschutt. Inmitten dieses Trümmerhaufens, in den sich Deutschland durch das Hitler-Regime zerlegt hat, wollen die aufräumen. In Berlin sind das die Amerikaner und als ihr Vertreter der Major.
Furtwängler sieht sich als reiner Künstler, der sich ganz und gar der Musik verschrieben hat. Kunst und Politik haben für ihn keine Überschneidungen. Er wollte nur die Schönheit des deutschen kulturellen Erbes über die Schreckenszeit des Krieges hinüberretten. Dass er auch Juden geholfen hat, vor dem Naziregime zu fliehen, erklären sich seine Befürworter und Gegner auf unterschiedliche Art und Weise: Für den Major ist es ein klarer Beweis dafür, dass er sich mit seinem "Kumpel Adolf" bestens verstand, und für David und Emmi dafür, dass er unter Lebensgefahr gegen die Judenvernichtung vorgegangen ist.
Das Theaterstück von Ronald Harwood, das im Original "Taking sides" heißt, lässt dem Zuschauer bis zum Schluss die Wahl, auf welche Seite er sich stellen möchte. Auch in der Inszenierung von Harald Weiler am Ernst-Deutsch-Theater wird dem Publikum diese Entscheidung klugerweise nicht abgenommen. Einzig die Einspielungen der grandiosen Beethoven-Sonaten scheinen ein Plädoyer für den begnadeten Musiker Furtwängler zu halten. Konnte jemand, der sich in diese Musik Tag für Tag versenkte, nicht zu der Überzeugung gelangen, dass die Schönheit dieser Musik letztendlich jeden für sich vereinnahmen vermöge?
Ein tolles, höchst aktuelles Stück, das die Wichtigkeit von Kunst in politisch aufwühlenden Zeiten anmahnt und damit letztendlich Furtwängler doch widerspricht: Kunst sollte sich ihrer politischen Verantwortung immer bewusst sein.
Birgit Schmalmack vom 12.2.19