Fräulein Smillas Gespür für Schnee, Altonaer Theat
Gespür für die Lücken im System
Fräulein Smilla (Annika Martens) besitzt nicht nur Gespür für Schnee sondern auch für die Lücken im System. Sie hat den siebten Sinn für alles, was nicht stimmt, was die Regeln der Vernunft stört. Sie sucht stets den Fehler in der Rechnung, denn sie liebt die Zahlen ebenso wie den Schnee. Als Halb-Grönländerin besitzt sie außerdem einen angeborenen Orientierungssinn. In Kopenhagen stößt sie nun auf einen Fall, bei dem tatsächlich einiges nicht in den Newtonschen Raum zu passen scheint. Ein kleiner grönländischer Junge namens Jesaja ist von einem Hochhausdach gefallen, obwohl er unter Höhenangst litt. Fräulein Smilla wittert Vertuschung, als die Polizei den Fall zu den Akten legen will. Sie kann nicht anders, als zu versuchen das Unrecht auf eigene Faust aufzudecken.
Smilla versucht ihre Verletzlichkeit hinter einer aggressiven Schroffheit zu verbergen. Sie hat gelernt sich nur auf sich selbst zu verlassen. Als Emigrantin ist sie gewohnt hinter jeder Zurückweisung eine Diskriminierung zu vermuten und legt ihren inneren Schalter instinktiv auf Angriffshaltung um. So kann sie selbst zu dem Automechaniker (Tommaso Cacciapuoti), der ebenfalls Jesajas Freund war, keine Nähe zulassen. Zu groß ist ihre Angst davor verletzt zu werden. Gewohnt einzig ihrem Verstand und ihrem Instinkt zu folgen, kommt sie den Machenschaften etlicher machtgieriger einflussreicher Männer auf die Spur.
Regisseur Franz-Joseph Dieken hat den Roman von Peter Hoeg in kurzen knappen Szenen mit fünf Schauspielern auf die leere, nur mit leicht angegrauten Schneeflocken bedeckte Bühne (Lani Tran-Duc) gebracht, in deren Mitte eine Eiswand in die Höhe ragt. Ein gutes Sinnbild für das Nichts, in dem es zwar keine greifbaren Anhaltspunkte gibt, in dem Smilla aber dennoch unerschrocken jede Spur verfolgt. Spannung wird im Altonaer Theater mit leichter Hand erzeugt, doch nur zaghaft schimmert unter der vordergründigen Krimihandlung eine zweite Ebene der psychologischen und gesellschaftskritischen Hintergründe durch, die in Hoegs Roman auf jeder Seite zu spüren ist.
Birgit Schmalmack vom 9.3.15