Intensive Selbstbefragung in den Ruinen am Alex

Hamletmaschine, Um-Polen


"Ich war Hamlet. Ich stand an der Küste und redete mit der Brandung BLABLA, im Rücken die Ruinen von Europa." So beginnt die Hamletmaschine. Beim Festival "Um-Polen" fand Regisseur Henry Schlage den perfekten Ort um den Zustand der Gesellschaft zu zeigen. Wenn einer Darsteller auf das Dach der Bühne eines abbruchreifen Teil des Hauses der Statistik klettert und von oben seine Reden schwingt, fallen immer wieder kleine Betonstücke zu Boden. Deutlicher kann ein Bühnenbild kaum die abbröckelnde Welt versinnbildlichen.
Hamlet wird hier von Stephanie Amarell und Julius Böhm verkörpert. Ihre zweigeteilten Kostüme machen das deutlich. Sie haben sich aus der Vertiefung in der Mitte der Bühne in der Wüste ausgerappelt und stehen nun die Arme zum Deklamieren in die Höhe gereckt da. Sie werden noch häufig ihre Rolle wechseln, sie werden sie in Frage stellen, sie werden die Richtung suchen, sie werden sich fragen, was hier zu tun sei. Denn sie sind verwirrt angesichts der Trümmern, der Gewalt, die sich vor und hinter sich erkennen.
Heiner Müller hinterfragt in seinem Text die Aufgabe und Haltung eines DDR-Intellektuellen angesichts der Niederschlagung der Aufstände in etlichen sozialistischen Ländern mit Hilfe des Shakespeare-Stückes Hamlet. 2020 wird es zur Folie für die Herausforderungen heutiger Generationen angesichts von Auseinandersetzungen in der Welt.
Immer fragen sich die beiden jungen Leute auf der Bühne: Was sollen wir tun? Wo ist unsere Aufgabe? Wessen Rolle können wir übernehmen? Sie spielen ihre Haltungen anhand der Rollen von Hamlet, Ophelia und Elektra durch. Zum Schluss blicken sie in einen Himmel voller Leichen, die von der Decke hängen. Ihre Denkmalpose ist umgestürzt. Mit den Händen erhoben liegen sie nun auf dem Rand ihrer Leichengrube. Der letzte Gongschlag hinterlässt eine Leere, die gefüllt werden will.
Birgit Schmalmack vom 30.8.20