Der eiserne Gustav
Unter dem Kommando eines Sturkopfs
Wenn Vadder (Walter Plathe) nach Hause kommt, erzittert die kleine Wohnstube der Hackendahls. Ganz klar, in diesem Haushalt hat Gustav das Sagen. Oder wie seine Tochter (Magdalena Steinlein) es hinter seinem Rücken formuliert: Vater kommandiert immer, entweder seine Pferde oder uns Kinder. Mit Stolz trägt dieser Mann aus der wilhelminischen Zeit den Beinamen „eisern“. Seine Ehefrau Elsbeth (Dagmar Biener) akzeptiert diese klare Rollenverteilung und füllt ihre eigene mit aller Raffinesse aus: Hinter dem Rücken ihres Mannes ist sie die Vertraute, die Unterstützerin und Vermittelnde für beide Seiten. Doch die Zeiten ändern sich. Als die „Blechkisten“ seine Chauffeurdienste übernommen haben, hat der Droschkenkutscher Gustav statt der früheren 32 Pferde nur noch eines. Der erste Weltkrieg und machen den Kaiser zu „Wilhelm dem Getürmten“. Gustavs Predigten von Pflichterfüllung, Gehorsam und Ordnung erbringen nicht den gewünschten Effekt. Alle Kinder verweigern sich den Erziehungsbemühungen, da sie die Werte des Kaisertreuen in Frage stellen. „Als Vater habe ich versagt“, muss sich Gustav eingestehen. Doch der Sturkopf will sich nicht unterkriegen lassen: Er will 1928 mit seiner Droschke von Berlin nach Paris und zurück fahren. Es wird zum Medienereignis und Gustav kehrt als gefeierter und geläuterter Mann zurück. „Es lohnt sich immer“, ist sein Schlussplädoyer.
Viel Zeitgeschichte erzählt der Roman von Hans Fallada. Er lässt Einblick nehmen in die Zeitenwende vor und während des ersten Weltkrieges. Am Rande liefert er sogar mögliche Erklärungshinweise für den Boden, auf dem der Nationalsozialismus entstehen konnte. Er zeigt Familienstrukturen, die einen Autoritätsglauben zementierten. Auch in der Bühnenfassung von Peter Lund unter der Regie von Martin Woeffler am Winterhuder Fährhaus bleiben diese Aspekte erhalten. Radioberichte über Gustav spektakuläre Fahrt werden immer wieder zwischen die Familienszenen geschnitten. Dafür wird das Sofa mal eben zum Kutschbock. Ein rundum gelungenes Ensemblestück, das ein Stück Geschichte erzählt ohne sich in detailverliebten Dekorationen zu verlieren.
Birgit Schmalmack vom 2.8.13