Willkommen bei den Hartmanns, Fährhaus
Die Deutschen sind so verwirrt
Diese Komödie erwischt ihre Zuschauer. Im gutbürgerlichen Winterhude entschlüpft dem ein oder anderen schon einmal ein Genau!, wenn auf der Bühne die Vorurteile gegenüber Flüchtlingen ausgebreitet werden, Und doch kriegt diese Inszenierung jeden. Am Ende sind sie bezaubert vom Charme dieses Flüchtling, der bei dem gutbürgerlichen Ehepaar Hartmann in seiner Blankeneser Villa eingezogen ist. Regisseur Martin Woelffer lässt immer wieder die Schauspieler an die Rampe treten. Mal müssen die Zuschauer dann demonstrierende AfD-Anhänger, Flüchtlinge im Integrationskurs oder Jury-Mitglieder in einem deutschen Gericht werden. Der Perspektivwechsel ist so Programm und das Winterhuder Publikum folgt ihm willig.
Aus purer Unterforderung macht sich Angelika Hartmann auf ins Flüchtlingsheim und holt einen der Flüchtlinge in die Souterrainwohnung ihrer Villa. Dieser Diallo (grandios: Quatis Tarkington) hinterfragt nun in seiner sympathischen Unbedarftheit diese Vorzeigefamilie, die so perfekt alle typischen Verhaltensweisen durchdekliniert. Da ist die pensionierte Lehrerin (Meike Harten), die ihre Langeweile und das Desinteresse ihres Mannes (Michael Roll) mit Alkohol betäubt und verzweifelt nach einer neuen Aufgabe sucht. Da ist dieser Ehemann, der mit seinem Alter so sehr hadert, dass er sich in eine Affäre mit einer Jüngeren stürzt. Da ist die Tochter, die im Dauerstudium und -Partys gefangen ist und sich nicht zum Erwachsen Werden durchringen mag. Da ist der Sohn, der als Workoholic seine Ehe und die Beziehung zu seinem Sohn ruiniert. Diallo versucht Ordnung in dieses Familienchaos zu bringen. Auch wenn es zuerst so aussieht, dass diese Bemühen alles nur noch schlimmer macht, beschert diese Komödie natürlich zum Schluss ein Wohlfühl-Happy End, zumindest für die Deutschen. Diallo allerdings ist angesichts seiner eigenen Familienprobleme machtlos
Regisseur Martin Woelffer hat ein paar Überzeichnungen aus dem Film entschärft und das Ende weniger märchenhaft gestaltet. So schafft er in der Bühnenfassung von John von Düffel etwas, was im Boulevard selten gelingt: eine Komödie, in der herzlich gelacht und dennoch über aktuelle Probleme auf der Welt und in Deutschland nachgedacht werden kann, Wenn Diallo seine Fluchtgeschichte erzählt, ist die sich ausbreitende Bedrückung im Publikum spürbar und ein mitleidendes Seufzen wandert durch die Reihen.
Birgit Schmalmack vom 7.1.20