Gesellschaft der Klotzköpfe

Der Winter ist vorbei. Jeder kriecht aus seiner Winterhöhle heraus und trifft bei der Generalswitwe Anna zusammen. Doch von Aufbruch ist hier nichts zu spüren. Wie die Statuen stehen die Landbewohner da. Jeder in seiner Pose verharrend. Einzig Platonow (Bert Luppes) läuft zwischen ihnen herum, , beschnuppert und begutachtet sie. Obwohl auch er alles andere als frisch aussieht, in seinem zerrissenen nicht mehr ganz weißen Unterhemd, mit den wirren grauen Haaren und seinem mürrischen Gesichtsausdruck. Die besten Jahre hat dieser Platonow schon hinter sich. Und dennoch lieben ihn alle, die hier stehen. Sie wissen, dass er unter ihnen etwas Besonderes ist: ein gradliniger Charakter, der sagt was er denkt, sich an keine Konventionen hält und deshalb eine Wahrhaftigkeit ausstrahlt, die sie alle vermissen. Besonders in den Frauen weiß er Sehnsüchte zu wecken, von denen sie denken, dass nur er in der Lage wäre sie zu stillen.
Da ist seine Frau Sascha (Katrin Lohmann), die ihm treu zu steht, auch wenn er sie nur als dummes Gänschen betitelt. Da ist die mit Sergej verlobte Sofja (Lien Wildemeersch), der er von großer Liebe spricht, um sich dann im letzten Moment abzuwenden. Da ist die Generalswitwe Anna (Elsie de Brauw), die in Platonow ihre wahre Liebe sieht, aber klug genug ist, um sich auch mit einem gelegentlichen Treffen zu begnügen. Verzweifelt Einsame stehen da wie angewurzelt vor den auf Büchern gelagerten Schienen, auf denen das Piano nach hinten fährt. Die Musik, von Jens Thomas da erzeugt wird, ist aufwühlend, anrührend, aufregend und wütend und traurig zugleich.. Sie spricht Platonow aus der Seele. Sie ist eine Seelenmusik der Verzweiflung.
Platonow weiß selbst, dass er die in ihn gesetzten Erwartungen nicht einlösen kann und leidet selbst am meisten darunter. Zum Schluss nimmt er sich das Gewehr von Ossip und steckt sich den Lauf in den Hals. Er ist der Einsamste unter allen, weil er nicht bereit sich davon ablenken zu lassen, dass es die Liebe nicht geben kann. Dass alles nur Lüge ist. Er ist nicht bereit sich mit Halbwahrheiten abspeisen zu lassen.
Das alles arbeitet Luk Perceval in seiner Inszenierung am NT Gent, das zu einem bemerkenswerten Gastspiel in Hamburg zu sehen war, in kluger Reduzierung heraus.
Birgit Schmalmack vom 18.5.15