Zur Kritik von

 
 
 

Hedda Gabler, Thalia

Die Fassade schwindet

Ein hochherrschaftliche Bürgervilla wie aus dem Bilderbuch: Großmustrige Bräunlichkeit im Brokatambiente (Bühnenbild: Stephane Laime) lässt keinen Platz für Fenster, die Frischluft hereinbringen könnten. Alles sollte ganz nach dem gängigen Geschmack für die junge anspruchsvolle Gattin gerichtet sein, die gerade mit ihrem Ehegemahl von der Hochzeitsreise heimkommt. Alles riecht nach Verwesung, ist jedoch Heddas Meinung zur Villa, in der sie ab jetzt wohnen soll. Je mehr Tesman und seine geliebte Tante Juju sich auch Mühe geben, der Angebeteten alles recht zu machen, umso mehr müssen sie scheitern.
Die schöne, kapriziöse Hedda (Patrycia Ziolkowska) hat sich verkauft. Auf der Suche nach einem Versorger ist sie an Jörgen Tesman (toll: Jens Harzer) geraten, den gutherzigen liebevollen Professorenanwärter, dem anscheinend eine große Karriere bevorzustehen scheint. Doch sie muss feststellen, dass sie auf das falsche Pferd gesetzt hat. Tesman hat inzwischen einen Konkurrenten bekommen. Heddas begabter Ex-Lover Lövborg (Alexander Simon) hat geläutert von seinen früheren Eskapaden und inspiriert von der ihm ergebenen Thea Elvstedt (Marina Galic) ein erstes Buch veröffentlicht und ein zweites gerade fertig geschrieben. Plötzlich soll es ein Wettbewerb um den schon sicher geglaubten Professorenposten geben.
Liebe ist für Hedda nur ein komisches Wort. Sie hat ihr Leben der Schönheit gewidmet und nun, wo sie zu schwinden droht, hat sie keinen anderen Lebensinhalt parat. Wieder richtet sich ihr Blick auf die Männer: Richter Brack (Daniel Lommatzsch) schlägt ihr kurzerhand ein Dreiecksverhältnis vor, zu aller Vorteil. Hedda bekäme Abwechselung, Brack eine schöne Geliebte und ihr Mann einen Freund, der ihm nie gefährlich werden würde. Und dann ist da noch der wieder aufstrebende Lövborg, der genau dieses Quentchen an Wahnsinn, Wagemut und Abenteuerlust hat, das sie so reizt und ihrem Mann völlig abgeht.
Regisseur Jan Bosse hatte das Stück als dezent überzogene Boulevardkomödie begonnen. Wenn Tante Juju und Berte (herrlich devot: Karin Neuhäuser und Julian Gries) braucht als treue Liebende um Tesman herumscharwenzeln, weht Romantik und ein wenig Kitsch über die Bühne. Der Bruch erfolgt, als Hedda die Bühne betritt. Danach legt sich über die ganze Szenerie der Zeitlupenmodus, während die kalte Schöne allmählich das ganze Ausmaß ihrer bevorstehende Langeweile erfasst. Sie ist so angeödet vom Leben, schwärmt von Taten und kann sich zu keiner eigenen aufraffen. Leben kommt in Hedda erst, als sie die Aussicht verspürt, noch einmal Macht über jemanden zu haben. Sie beginnt zu tänzeln, zu springen, zu rasen, zu laufen. Als Lövborg nach einem weiteren Absturz am Boden liegt, wittert sie ihre Chance, um ihn in ihrem Sinne zu einer „schönen Tat“ zu drängen.
Bosse zeigt detailgenau die Dekonstruktion der Fassade der Bürgerlichkeit. Im Laufe des Stückes verschwinden immer mehr Wandteile der braunen Villa und das Innenleben wird für jedermann einsehbar. Der Schutz der vier eigenen Wände ist durchbrochen. Das Hausmädchen Berte die Besucher nicht mehr hereinzulassen; ohne Türen spazieren sie einfach hinein.
Jan Bosse lässt Ibsens Stück mit fast ungekürztem Originaltext in seiner Zeit. Diese Hedda versucht keine Emanzipation. Sie bleibt ganz ihrer Rolle als intrigante Strippenzieherin mit ihren weiblichen Mitteln verhaftet. Bosse verschafft den exzellenten Thalia-Ensemblemitgliedern dabei zu grandiosen Auftritten, die ihr schauspielerisches Können perfekt zur Geltung bringen können. Das ist toll anzuschauen, aber bleibt auf Distanz; ein Sympathieträger will sich unter diesen Bourgeoisie-Insassen einfach nicht finden lassen.
Birgit Schmalmack vom 23.10.14