Die Schutzbefohlenen, Thalia


Die uneingeladenen Gäste


Am liebsten sollten sie nicht da sein. Ihre Unerwünschtheit, die an die Fehlerhaftigkeit der eigenen Gesellschaft erinnert und die Wohlfühl-Gemütlichkeit stört, muss ebenso versteckt werden wie sie selbst. Denn sie stellen mit ihrem Vorhandensein die hochgehaltenen Werte der Gesellschaft in Frage. Nur eingeladene Gäste erfahren Gastfreundschaft. Für die übrigen wird Hilfsbereitschaft und Mitmenschlichkeit an Institutionen verlagert. Doch diese wiederum erfüllen ihren Auftrag des Wahlvolkes nur zu gut. Sie verbergen die Missstände ihrer unzulänglichen Leistungen gerne hinter Worthülsen der Wertebeteuerungen in farbigen Broschüren und schotten sich ab mit einem Verwaltungsdeutsch der unerfüllbaren Regeln und Verordnungen. In diesem Niemandsland stranden Flüchtlinge vor Krieg, Hunger und Vertreibung in Europa. Anlässlich des Hungerstreikes einer pakistanischen Flüchtlingsgruppe in Österreich und des Protestes der Lampedusa-Gruppe in Hamburg hat Elfirede Jelinek angelehnt an Aischylos „Die Schutzbefohlenen“ geschrieben.
Regisseur Stemann konzentriert sich in seiner Inszenierung, die jetzt nach Mannheim auch in Hamburg seine Aufführung feierte, zunächst ganz auf die mäandernden Wort- und Gedankenschleifen Jelineks und macht sie zu einem geschickt arrangierten, polyphonen Wortgedicht. Die Stimmen kommen aus dem Off, auf der Bühne formiert sich derweil der stumme Chor der Flüchtlinge. Die drei Schauspieler (Felix Knoop, Sebastian Rudolph, Daniel Lommatsch) stehen am Mikrophon und sprechen für den stummen Chor. Zwar haben sie alle T-Shirts an, die alle gleichermaßen mit Spiralmustern, die an Stacheldrahtzäune erinnern, versehen sind, doch sie sind nicht gleich. Die Flüchtlinge haben keine Sprache. Sie sind die Fremden, denen die Sprache genommen wurde. Sie sind in das Unterwürfige des Nichtverstehens gestürzt. Sie sind angewiesen auf die Worte der Schriftstellerin Jelinek, die für sie die Worte findet. Eine Situation, die ihre unmündige Haltung nur verstärkt. Nicolas Stemann bricht sie auf. Erst indem er zwei farbige Schauspieler Thelma Buabeng, Ernest Allan Hausmann) den drei Thalia-Schauspielern ihre Plätze am Mikrophon streitig machen lässt. Und dann indem der Chor der Flüchtlinge selbst das Wort ergreifen darf. Sie wehren sich gegen die Vereinahmung durch Jelineks Text: „Das ist nicht unsere Sprache.“ Sie erzählen ihre eigenen Geschichten in einer selbst gewählten Sprache.
Durch den gezielten Einsatz seiner Ironisierungsmaschinerie holt Stemann den intellektuellen Aneignungs-Text Jelineks an die Zuschauer heran. Da fallen Einbürgerungsbroschüren wie Manna vom Bühnenhimmel, da wird ein fahrbare Kanzel hereingerollt, da werden Stacheldrahtzäune hin- und hergeschoben. Doch erst die Energie der Flüchtlinge auf der Bühne, die eigentlich gar nicht da sein dürften, weil sie keine Arbeitserlaubnis haben, macht ihn zu einem Stück, das aufzuwühlen versteht. Zum Schluss stecken die Flüchtlinge in Ganzkörperanzügen aus Secondhandklamotten, die selbst ihr Gesicht verdecken und die Schauspieler tragen feine Abendgarderobe. Für die Mauer zwischen ihnen braucht es keine Stacheldrahtzaun, der mittlerweile auf der Bühne steht. Die Grenze ist in den Köpfen. Dieser Abend holt die Flüchtlingsproblematik, die hinter den aktuellen Kriegsereignissen zu verschwinden droht und dennoch ihr ständiger Begleiter ist, ins Theater. Er lässt kurzzeitig die Hoffnung zu, dass es ein Ort der politischen Diskussion und Veränderung sein könnte.
Birgit Schmalmack vom 13.9.14

Zur Kritik von

ndr 
focus 
abendblatt 
welt